Stumme Zeugen
sie fester packte, und sah, wie er die Pistole auf ihre Mutter richtete. Villatoro lag reglos am Boden.
»Los, verzieh dich mit dem Jungen in das Zimmer da hinten«, sagte Swann zu Monica. »Ich schließe euch ein. Vielleicht brauche ich euch später noch. Wenn ihr auszubrechen versucht, muss erst Annie dran glauben, und dann seid ihr an der Reihe.«
Newkirk hörte, dass Singer erneut getroffen wurde. Das Geräusch klang, als würde ein Batter mit voller Wucht von einem Baseball erwischt. Plötzlich sah er Singer wieder, als der zum zweiten Mal zu Boden ging. Er wand sich hin und her, als quälten ihn Ameisen unter seinen Klamotten. Dann
hörte er aus dem Haus zwei schnell aufeinanderfolgende Schüsse. Hier ist die Hölle losgebrochen, dachte er.
Singer lag dicht neben ihm, ihre Blicke trafen sich. Die Jacke seines ehemaligen Vorgesetzten war dunkel verfärbt, Newkirk roch das Blut. Singer blutete auch aus dem Mund und aus der Nase, aber seine Augen waren stahlblau wie immer, und er fixierte Newkirk mit einem scharfen Blick.
»Du hast dich versteckt. Du Dreckskerl hast dich verkrochen …«
»Es hätte nie so weit kommen dürfen«, sagte Newkirk.
»Wir hatten unser neues Leben verdient, hatten es uns erarbeitet«, erwiderte Singer wütend.
Irgendwie klingt seine Stimme wie die eines Ertrinkenden, dachte Newkirk. Seine Lungen füllen sich mit Blut. Ein übler Abgang, aber wenn er doch bloß zu quasseln und zu zucken aufhören würde.
»Es war das Blutvergießen nicht wert.« Newkirk hob die Pistole und jagte ihm eine Kugel in die Stirn.
Singer zuckte nicht mehr.
»Schluss«, sagte Newkirk. »Es musste endlich aufhören.«
Er hörte ein Auto näher kommen, kurz darauf den Rotor eines Helikopters.
Dann öffnete sich die Tür des Hauses, und Swann tauchte auf, mit schmerzverzerrter und verängstigter Miene. Er hielt das kleine Mädchen im Arm und presste ihm seine Pistole an den Kopf.
»Ich habe das Mädchen, Rawlins!« Swanns laute Stimme zerriss die morgendliche Stille, und er blickte in Richtung des Hügels, wo Jess sich versteckte. »Wenn Sie aufstehen
und die Waffe fallen lassen, können wir uns einigen, damit keinem mehr etwas passiert.«
Annie spürte den Würgegriff seines Arms um ihren Hals, fühlte die Mündung der Pistole an ihrer Schläfe. Wenn Mr Rawlins ernst macht, ist er ein toter Mann, dachte sie. Er muss in seinem Versteck bleiben. Mr Villatoro hat teuer dafür bezahlt, dass er auf Swann gehört hat. Sie hoffte, dass William keine Dummheiten machte, um sie zu retten.
»Antworten Sie!«, schrie Swann, und seine Stimme verriet Angst. Sein Gebrüll hatte seine Gesichtshaut so gedehnt, dass einige der Fäden gerissen waren, mit denen man seine Wunden vernäht hatte. Blut lief über sein Gesicht und tropfte vom Kinn auf seinen Kragen.
Annie spürte die Feuchtigkeit an ihrem Hals. Sei tapfer, dachte sie. Keine Tränen. Tatsächlich war sie eher wütend als verängstigt, und wenn sich Swanns Griff lockerte, würde sie wie eine Wildkatze kämpfen.
Plötzlich spürte sie, wie Swann verwundert nach Luft schnappte, und als sie in Richtung des Hügels blickte, wollte sie ihren Augen nicht trauen.
Jess Rawlins stürmte den Abhang hinab, mit dem Gewehr in der Hand, dessen Lauf in der Morgensonne funkelte.
»Was soll das, Opa?«, schrie Swann. »Stehen bleiben und Waffe fallen lassen. Stopp!«
Swann riss die Pistole von Annies Schläfe weg, richtete sie mit unsicherer Hand auf Jess und drückte dreimal ab. Annie zuckte zusammen. Mr Rawlins geriet ins Stolpern, rannte aber unbeirrt weiter.
Jetzt war er so nah, dass Annie das Geräusch seiner Stiefel auf dem Kies hörte.
Plötzlich schleuderte Swann sie wie eine Puppe zur Seite. Wegen seines Zitterns musste er die Pistole mit beiden Händen umklammern. Er feuerte erneut, viermal nacheinander. Annie sah, dass mindestens zwei Kugeln trafen. Auf Mr Rawlins’ Jacke zeigten sich Blutflecken, doch seine zu allem entschlossene Miene hatte sich kein bisschen verändert.
Dann blieb er stehen, zwanzig Meter von Swann entfernt, hob ruhig das Gewehr und drückte ab. Die Kugel schlug in Swanns Gesicht, direkt zwischen den Augen. Er stürzte rückwärts in die offene Tür, die Pistole fiel auf die Veranda. Annie war nichts passiert.
Monica hatte eine Schublade aus der Frisierkommode gerissen und knallte sie mit voller Wucht gegen die Schlafzimmertür, die sofort aufsprang. Sie trat über den reglos am Boden liegenden Villatoro, packte Williams
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