Stummer Zorn
siebenundzwanzig war ich ausgebrannt, und mein Leben ging geradewegs den Bach hinunter. Dabei konnte ich mich glücklich schätzen, all die Jahre überdauert zu haben, wie mir meine Agentin heute erklärt hatte, während sie mit ihrem eleganten kupferroten Fingernagel vor meiner Nase herumfuchtelte, um dem ganzen Nachdruck zu verleihen.
„Hättest du nicht ein bißchen Verstand, wärst du nie so lange dabeigewesen. Steig aus, solange du noch ganz oben stehst. Ich meins nur gut." („Genau, sicher, hmm", brummte ich durch meine Hände hindurch). „Andernfalls würde ich dich einfach immer weitermachen lassen und jeden Cent, den ich kriegen kann, mit dir verdienen. Ich tue dir einen Gefallen, Nickie."
Ich drehte mich wieder um, starrte fünf Minuten lang in den Spiegel und zwang mich einzugestehen, daß sie es tatsächlich gut gemeint und mir einen Gefallen getan hatte.
Ich hatte meine eigene Eitelkeit und die Tatsache, wie leicht man sie kränken konnte, satt. Das kam davon, daß ich mit meinem Gesicht mein Geld verdiente.
„Du hast noch andere Eisen im Feuer, Nickie", erzählte die Stimme meiner Agentin in meinem Kopf weiter. „Du bist das Business doch selbst leid; ich weiß es. Ich sehe es. Die Kamera sieht es, und du kannst mir nicht erzählen, daß du die Kamera noch genauso liebst, wie du es einmal getan hast."
Bevor ich mich vom Spiegel abwandte, zwang ich mich zu der Einsicht, daß alles, was sie gesagt hatte, der Wahrheit entsprach.
Das war's also.
Ich schaltete eine Lampe im Wohnzimmer ein und setzte meine Lesebrille auf. In Zeiten großer Schwierigkeiten wandte ich mich stets an meinen Trost - Jane Austen. Ich konnte ein beliebiges Kapitel eines ihrer Bücher aufschlagen und fühlte mich sofort besser. An diesem Abend klappte Jane fast so gut wie sonst auch; ich mußte allerdings eine Packung Papiertaschentücher auf den Tisch neben die Lampe stellen. Ich ertappte mich dabei, in Gedanken abzudriften und bittet darüber zu sinnieren, daß zumindest die Frau auf dem Gehweg nicht mehr leiden würde, und gab mir dafür, innerlich mich selbst tadelnd, eine Ohrfeige. Melodramatisch, dumm.
Ich vergrub mich in die Kümmernisse der Miss Elinor Dashwood, bis ich mich in der Lage fühlte zu schlafen.
Am nächsten Morgen hatte mein gesunder Menschenverstand sich eingeschaltet. Ich erwachte mit leichter Katerstimmung vom Weinen, setzte Kaffee auf, um munter zu werden und machte meine Übungen, während ich darauf wartete, daß er fertig wurde.
Da ich nicht länger Model war, gönnte ich mir Butter auf meinem Toast. Ich durchstöberte träge die Zeitung auf der Suche nach einer Erwähnung der Frau auf dem Gehsteig und erkannte, daß sie nur einen kurzen Absatz wert gewesen war. Es überraschte mich nicht.
Da ich im vergangen Jahr an mehr Tagen ungebucht gewesen war, als ich mir eingestanden hatte, war ich an Freizeit gewöhnt. Aber jetzt, als mir klar wurde, daß dieser Abschnitt meines Lebens vorbei war, war ich mißgestimmt und wußte nichts mit mir anzufangen.
Die Putzfrau, die einmal pro Woche vorbeikam, hatte am Tag zuvor während meiner Abwesenheit ihre Arbeit gemacht, also gab es nicht einmal etwas aufzuräumen. Ich überflog die Titel in meinen Bücherregalen und versuchte, etwas zu finden, das es wert war, noch einmal gelesen zu werden. Ich mußte mir Jane für die Krisen aufheben. Nichts schien eine Saite in mir zu berühten.
Mit fiel ein, daß ich versuchen konnte, einen meiner eigenen Romane zu überarbeiten. Aber ich fühlte mich zu erschöpft, um im großen Stil kreativ zu werden. Meine Augen wanderten auf der Suche nach etwas Fruchtbringendem durch den Raum. Der einzige Gegenstand, der mich auf Anhieb ansprach, war der unbeschriebene Notizblock, den ich neben dem Telefon aufbewahrte.
Ich liebe es, Listen zu schreiben.
Eine Einkaufsliste? Nicht anspruchsvoll genug. Einen nachdenklichen Moment später beschloß ich, dieser Morgen sei bestens geeignet, die Dinge aufzuzählen, für die ich dankbar sein konnte. Ich spitzte einen Bleistift und ging ans Werk.
1. Hübsche Wohnung, gute Lage; aber Mietvertrag mußte verlängert werden
2. Geld auf der Bank, Rücklagen und smarten (und halbwegs ehrlichen) Finanzberater
3. Zwei hervorragende Romane, die dämliche Herausgeber uner-klärlicherweise abgelehnt hatten
4. Freunde. Meine Agentin, ein paar andere Models, ein oder zwei Fotografen, einige angemessen schöne Menschen, die sich wohl als der Schönwetterkategorie zugehörig herausstellen
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