Stummer Zorn
Nacht lang in einer Art religiösem Wahn alles zerfetzten, was ihnen im Weg stand", erinnerte Barbara Mimi, der es entfallen gewesen war.
„Oh", fuhr Mimi auf. „Du meinst, wir hätten alle schön brav und still dasitzen und uns umbringen lassen sollen?"
„Wenn eine von uns nicht gehandelt hätte, wenn auch nur eine von uns sich in ihr Schicksal ergeben hätte, hatten die anderen es vielleicht auch getan", sagte ich.
„Ich darf gar nicht daran denken", murmelte Barbara, nachdem sie kurz versucht hatte, sich dieses Szenario vorzustellen.
„Nein", stimmte ich zu. „Das sollten wir nicht. Das werden wir nicht." Zumindest würden wir versuchen, es nicht zu tun.
„Sarah Chase und Neil", sagte Mimi. „Ich frage mich ..."
„Ob Sarah Chase es wußte?"
„Oh mein Gott, nein!" protestierte Mimi entsetzt.
„Das habe ich mich gefragt", sagte Barbara ruhig.
Ich nickte. Auch mir war das in den Sinn gekommen. Wie um alles in der Welt hatte Theo Sarah Chase erklärt, daß sie Gäste zum Tee haben würde? Es bestand eine geringe Wahrscheinlichkeit, daß Sarah Chase uns wirklich hatte einladen wollen. Dann hatte er ihr vielleicht gesagt, er habe Mimi und mich zufällig getroffen und sie müsse nur noch Barbara anrufen, aber ... selbst die dümmste Frau hätte den Braten doch sicher gerochen?
„Nicht bewußt", sagte Mimi vehement. „Sie hätte uns sonst an dem Tag einfach nicht alle drei einladen können. Undenkbar."
Ich mußte Mimi recht geben. „Aber Mimi, wir können sie weder fragen gehen noch sie anrufen", sagte ich entschieden, denn ich wußte, das hatte Mimi vorschlagen wollen. Sie würde gleich begreifen, wie ungeheuerlich diese Idee eigentlich war.
„Nein", räumte sie ein. „Ich — nein."
Charles und Cully kamen wieder, die Arme voll trockenen Eichenholzes, und zündeten mit unnötig viel Getue und gegenseitigen Ratschlägen das Feuer an. Sie spürten den Druck unseres Schweigens, während wir unseren jeweiligen Gedanken nachhingen und unseren je eigenen Film sahen. Der Film wurde grobkörnig und verschwommen, die Filmmusik verklang, zumindest bei mir. Vielleicht würde ich diese Szenen nicht mehr lange sehen müssen. Mimi starrte auf den Verband an ihrem Arm; sie hatte den Manschettenknopf ihrer Bluse offenlassen müssen, um Platz für die dicke Binde zu schaffen.
Ich hatte zur Feier des Tages und meines Überlebens ein Kleid angezogen. Cully hatte mir am Morgen den Reißverschluß zugemacht; meine Arme taten dafür zu weh. Er hatte mich nicht geküßt, obwohl ich in der Nacht zuvor meinen Mund innen und außen geschrubbt hatte, bis er ganz rauh war.
Als er jetzt an der Couch vorbeikam, beugte er sich herunter und küßte mich rasch — auf die Stirn. Er und Charles gingen mehr Holz holen.
Mit meinem leeren Glas in der Hand stand ich auf. Ich ging zu Barbara, beugte mich über ihren Stuhl und küßte sie. Ich ging zu Mimi auf ihrer Couch, setzte mich neben sie und küßte sie. Sie hielt mich ein Weilchen fest.
Dann ging ich in die Küche, mehr Wein holen.
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