Stummer Zorn
Kraft aufbringen, Mimi mit aufbauenden Worten zu trösten.
„Ich habe jetzt genug gejammert. Wie geht es dir?" fragte Mimi. „Erzähl mir, daß du durchs Modeln Geld scheffelst, daß ein Großverleger dir eine riesige Vorauszahlung für dein Buch gegeben hat und daß du mit einem wunderbaren Mann ausgehst, der Single ist, reich und gut im Bett."
„Ha ha ha", sagte ich garstig. „Als Model bin ich Vergangenheit; meine Agentin hat mich gestern abserviert. Nachdem mich drei bedeutende Verleger abgelehnt haben, habe ich eine Schreibblockade. Der einzige Mann, der mir mit einigem Enthusiasmus nachstellt, ist mein Vermieter, weil er den Mietvertrag erneuern will."
Nachdenkliche Stille.
„Hmm. Hast du das in deinem letzten Brief ernst gemeint, daß du zurückkommen willst, um das College zu beenden?"
„Ich habe darüber nachgedacht", gab ich zu. „Warum?"
„Warum wohnst du dann nicht bei mir und beendest die Schule in Houghton?"
Ich spielte zu meiner eigenen Belustigung pantomimisch Erstaunen, starrte auf den Telefonhörer und hielt ihn ein wenig von mir weg. Dann drückte ich ihn wieder an mein Ohr, zündete mir eine Zigarette an und hörte mit dem albernen Benehmen auf. „Ist das dein Ernst? Es ist dein Ernst."
„Ich meine es ernst", sagte Mimi. „Ich verkaufe mein Haus. Ich halte es nach zwei fehlgeschlagenen Ehen nicht aus, länger hier zu wohnen. Ich ziehe in Großm utters Haus, sie hat es mit vermacht. Ich hatte vor, es zu verkaufen, habe es aber bis jetzt noch nicht über mich gebracht, es tatsächlich einem Immobilienmakler anzubieten. Dann kam mir gestern der Gedanke ,Aha! Ich wetde einfach selbst dort einziehen!' Ich werde viel näher am Campus wohnen, und ich habe das Haus immer geliebt."
„Ich auch", sagte ich, und die Erinnerungen kamen langsam hoch. Die hohen Decken, die großen Räume ...
„... aber weißt du, es ist wirklich groß. Wir würden nicht dauernd übereinander stolpern, und du könntest nach Houghton gehen. Ich habe Möbel, du auch, und zusammen sollten wir es schon schaffen, das Haus damit zu füllen."
„Was ist mit Celestes Möbeln passiert?"
„Oh, sie hat verschiedene Stücke unterschiedlichen Leuten vermacht: den Großtanten, Cully, Mama, Papa. Trotzdem ist das Haus meins. Kann ich das Obergeschoß haben? Ich habe so lange in einem Ranchhaus gelebt. Ich will oben zwischen den Baumwipfeln sein und Treppen hinaufgehen."
„Du kannst haben, was immer du willst, es ist dein Haus", sagte ich unachtsam.
„Juhu!"
Was hatte ich getan? Ich konnte unmöglich ... ich öffnete den Mund, um einen Rückzieher zu machen, klappte ihn dann aber wieder zu. Ich kniff mich. Ich hörte Mimis schöner Südstaatenstimme zu, die immer weiterredete. Ich sehnte mich danach, sie zu sehen. Ich stellte mir vor, nur noch diesen Akzent um mich herum zu hören -keine quakenden, derben Tölpel meht. Ich dachte an die alte Frau auf dem Gehweg. Ich stellte mir vor, angstfrei die Straße entlangzulaufen. Ich erinnerte mich an den kupferroten Fingernagel meiner Agentin, der vor meinem Gesicht herumflatterte. Ich dachte an den Haufen Papier, der unberührt in meiner obersten Schreibtischschublade lag und fragte mich, ob Studiendisziplin und die Anregung durch das Lesen anderer Autoren meine Schriftstellerei beflügeln würden. Ich dachte an frische Luft, viel Platz, Narzissen und Mimis Lachen. Knolls, Tennessee. Ich hatte die ganze Zeit unglaubliches Heimweh gehabt und es bis zu diesem Augenblick nicht gewußt.
„Meinst du es wirklich ernst?" fragte Mimi ängstlich.
„Warum nicht?" antwortete ich nach einer weiteren Sekunde des Zögerns.
„Oh, wann? Wann?" fragte sie jubelnd.
„Laß es mich einfach angehen." Ich riß die Liste mit den Dingen, für die ich dankbar sein konnte, vom Notizblock. Sie hatte an Bedeutung verloren. Ich begann eine neue Liste: Mietvertrag, Umzugsfirma, Stadtwerke, Telefongesellschaft, Postamt. Der Notizblock füllte sich, noch während ich redete.
Über all die Meilen hinweg sagte Mimi anklagend: „Nickie! Hör auf, eine deiner Listen zu schreiben und gib mir eine ungefähre Zeit! Ich muß meinen Kram ja auch umziehen!"
„Ich rufe dich morgen zurück", versprach ich. „Kann ich das Schlafzimmer an der Treppe haben?"
„Du kannst jeden Raum im Haus haben."
Als ich auflegte, war ich vor Aufregung ganz kribbelig. Raus aus New York, Eine völlige Veränderung. Ich gönnte mir einen Augenblick Ruhe, ehe die Hektik ausbrach, um drüber nachzudenken, wie ich mein
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