Stunde der Klesh
wieder zu entwirren … Raumschiffe spielten auch eine Rolle. Die Ellarer leben in kleinen Steinhäusern auf einer felsigen Insel. Sie bauen irgendwelche rebenartigen Früchte an. Wenn man sie nicht angreift, sind sie sehr maßvoll und friedlich.“
Meure sagte: „Dann hätte auch Ingraine, falls das ihr richtiger Name war …“
„Wahrscheinlich hieß sie wirklich so.“
„… eine solche Geschichte zu erzählen gehabt?“
„Natürlich.“
„Aber es wäre eine unvollendete Geschichte gewesen …“
„Man sagt, daß die Todeslieder der jungen Ellarer die besten sind.“
„Ja, das kann ich mir gut vorstellen.“
„Es gibt noch etwas über sie zu sagen … In ihrem Alltagsleben versuchen sie die Rolle eines der Helden ihres Epos nachzuempfinden. Die Ellarer halten es für ihre wichtigste Lebensaufgabe, den Charakter dieses Helden genau auszuarbeiten und sich nach seinem Wesen zu verhalten. Natürlich scheitert ein solcher Versuch für gewöhnlich, aber er füllt die Ellarer völlig aus. Ich habe nie einen von ihnen über Langeweile klagen hören.“
„Cretus hat mir erzählt, daß sie eine Ellarerin war. Er sagte, sie wurde von einer fremden Existenz gesteuert, die Monsalvat unterdrückt. Wäre es auch möglich, daß sie dieser Wesenheit freiwillig gedient hat?“
„Wenn sie für sich die Rolle eines Spions gewählt hat, dann ist es durchaus möglich, daß sie sich dieser Aufgabe hingebungsvoll gewidmet hat. Falls sie euch, Halander und dich, in ihr Todeslied eingeschlossen hätte, würdet ihr euch kaum wiedererkannt haben. Sie hätte euch in fremde, sagenhafte Gestalten verwandelt.“
„Es schien dir nicht viel auszumachen, daß sie so plötzlich verschwand.“
Morgin zuckte die Achseln. Meure glaubte in dieser Geste Cretus wiederzuerkennen. „Manchmal verschwinden Leute, das ist nun einmal so. Natürlich verschwindet nicht jeder, nicht einmal viele, aber es kommt oft genug vor, ich war durchaus nicht überrascht: Wenn hier auf Monsalvat jemand an einem Ort ist, an den er nicht gehört, dann ist er eben mit einemmal nicht mehr da. Wenn es einer von euch Außenweltlern gewesen wäre oder das Haydar-Mädchen, dann hätte es mich schon gewundert.“
„Wieso hätte es dich bei Tenguft überrascht?“
„Haydars halten sich eben nie am falschen Ort auf, das lehrt die Erfahrung.“
Morgin wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Ruder zu, als habe er bereits zuviel Zeit mit Meure verschwendet. Meure hatte gut verstanden, was Morgin ihm über Monsalvat klarmachen wollte: Das Menschentum dieser Welt war noch nicht gezähmt worden. Yastian war eine Stätte der Verzweiflung, doch die Ellarer trugen in ihren Herzen eine ergreifende Poesie von kunstvoller Vielfältigkeit. Hinter jeder Stirn verbarg sich dort eine Was und eine Odyssee. Cretus spielte ihm ein paar Bilder zu, und Meure konnte sehen, daß die Ellarer klein und zart gebaut waren, ganz wie Ingraine; schlank, bleich, selbstbewußt und selbstgenügsam. Es war ein wenig reiselustiges Volk. Vor dem Lärm Glordunes waren sie auf ihre felsige Insel geflohen, und von dort würden sie nie wieder fortgehen, ganz gleich, was geschehen würde. Morgin hatte sie als Symbol für Monsalvat verwendet, und Meure spürte, daß Cretus der gleichen Ansicht war. Was die anderen Völker betraf … Meure sah ein, daß es nur wenige Beschränkungen auf Monsalvat gab; auch die Beschränkungen, die die zivilisierte Gesellschaft dem Verbrechen auferlegt hatte, galten hier kaum … Aber die zivilisierte Gesellschaft hatte nur einen Homer hervorgebracht. Doch hier, auf einer kleinen Felseninsel im Innenmeer, lebte ein ganzer Stamm von Dichtern, die dem blinden Sänger ebenbürtig waren. Was würde ein Ellarer in die Vereinigung der Stämme von Monsalvat einbringen, ja, was konnte er der ganzen Menschheit geben?! Und das galt sicher auch für alle anderen Stämme, möglicherweise auch für die Lagostomer, trotz allem, was Morgin über sie gesagt hatte …
Clellendols Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Hier könnte ich mich fast zu Hause fühlen.“
Flerdistar gab einen bissigen Kommentar: „Wie ein Wolf im Pferch der Schafe, wie?“
Clellendol antwortete ungerührt: „Eine Welt, in der jeder jeden Racheeid sein ganzes Leben lang nicht vergißt, müßte doch eigentlich auch für einen Vergangenheitsforscher ihre guten Seiten haben. Nun seht euch doch mal diese Stadt an! Ich kann es kaum erwarten, an Land zu gehen. Es riecht förmlich nach Verbrechen der
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