Stunde der Klesh
Incana und Yastian. Der Umriß Keptures glich dem zweier zusammengewachsener Kartoffeln, der westliche Teil bedeckte eine größere Fläche, der östliche lag in Nord-Süd-Richtung ausgestreckt. Am nördlichen Ende befand sich das kalte Urige. Kap Hogue am äußersten Südzipfel lag in einer Zone tropischen Klimas.
Ombur war weder unbelebt noch verlassen, auch lagen die breiten Wellentäler und -kämme nicht völlig ohne nächtliche Besucher da. Eine Gruppe solcher Besucher löste sich gerade aus der Finsternis der Hügel im Osten und bewegte sich hinaus in die Ebene: Zwei riesige menschenähnliche Kreaturen zogen einen ungestrichenen, grau verwitterten Karren mit bedächtiger Gelassenheit. Die grobknochigen, schwer gebauten Gestalten gingen festen Schrittes beständig voran. Der Karren rollte auf zwei mächtigen massiven Rädern; vorn, wo der Fahrer seinen Platz hatte, war er mit einer kleinen, runden Plane überspannt. Das Ganze folgte den unregelmäßigen Windungen der Fahrspur mit einer ausdauernden, fließenden Bewegung und schwenkte von einer Seite zur anderen.
Auf einem Brett, das an der Rückwand des Wagens befestigt war, konnte man eine schwerfällige Gestalt erkennen, die völlig regungslos dasaß und von den Schwankungen des Wagens hin und her geworfen wurde. Sie war in Schlaf oder Bewußtlosigkeit versunken. Unter der Plane saß vorn der Fahrer, der sich gerade rührte; er spähte aufmerksam in die Landschaft hinaus, als würde er eine Wegmarkierung suchen. Den Wesen, die den Karren zogen, schenkte er wenig Beachtung. Der Fahrer war nicht gerade schlank um die Taille herum, wenn man ihn auch noch nicht als fett bezeichnen konnte. Der Kopf zeigte die ersten Anzeichen einer nahenden Glatze, wie das bei Männern in den mittleren Jahren häufig der Fall ist.
Jetzt nickte der Fahrer – sein Name war Seuthe-der-Sackdiener Jemasmy – den Zugtieren zu und ließ ein geflüstertes „Dur, dur“ vernehmen. Die Saumer schritten noch ein paar Meter voran und brachten den Karren dann zum Stehen. Dabei tauschten sie unter schweren, dichten Brauen Blicke aus. Das Ächzen und Quietschen des Gefährts hielt noch für einen Moment an, dann verstummte auch dieses Geräusch, und nichts war mehr zu hören als das lastende Schweigen der Nacht. Die Gestalt an der Rückseite des Wagens blickte linkisch über die Schulter zurück, blöde grinsend mit Zähnen, die im Sternenschein blitzten. Jemasmy wandte sich um und beugte sich vor zu einer kleinen Kabine, die sich hinter ihm auf dem Wagen befand. „Morgin, bist du wach?“ fragte er mit gedämpfter Stimme.
Ein Grunzen antwortete ihm. Mit steifen, langsamen Bewegungen arbeitete sich ein spindeldürrer Mann aus der Kabine hervor und nahm rechts von ihm auf der Fahrerbank Platz. Alter, Phyle und Septe dieses Mannes waren schwer zu bestimmen. Eisengraues, zerwühltes Haar bedeckte sein Haupt. Immer noch lag Schweigen über der gewellten Ebene von Ombur, es regte sich kaum ein Hauch. Nur das schwere Atmen der Saumer, der finsteren Gestalten, die den Karren zogen, war zu hören.
Jemasmy sprach ihn an: „Dein Wunsch war es, geweckt zu werden, wenn der Sovin-Haufen die Vatz-Spitze verdeckt, dort auf der Ebene, und das ist nun der Fall.“
„Wo also sind wir, Seuthe?“ fragte Morgin-der-Mittler Balebaster mit rauher Stimmer.
„In der Lambascade-Senke natürlich.“
Morgin starrte eine Weile in die leere Grasfläche hinaus, dann erhob er sich und hielt sich an einer Verstrebung der Plane fest. Jetzt hielt er aufmerksam nach allen Seiten Ausschau. Es schien, daß er sich genau über ihren Standort klarwerden wollte. So stand er lange Zeit schweigend da, hin und wieder sog er prüfend die Luft ein oder lauschte in die Nacht hinaus. Schließlich kletterte er steifgliedrig und unbeholfen vom Karren herunter und trat auf den Weg neben die Saumer, deren langbeinige und kurzarmige Gestalten ihn um einiges überragten. Die Saumer verhielten sich still; in einer endlosen, gleichmäßig schwankenden Bewegung verlagerten sie das Gewicht von einem breiten Fuß auf den anderen. Morgin tätschelte dem neben ihm stehenden Tier freundlich den Rücken.
Er sagte:
„Im Moment scheint alles ruhig zu sein. Ausgezeichnet. Benne soll die Saumer füttern und tränken.“ Bei diesen Worten stießen die Zugtiere so kräftig die Luft aus, daß ihre Backen flatterten. Morgin fuhr fort: „Hier wollen wir rasten. Wir wollen die Zeit nützen und die Zeichen deuten, bevor wir die Senke verlassen
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