Stunde der Klesh
– oder mit ein paar kastrierten Hammeln.“ Er zuckte die Achseln. „Das ist ja alles, was sie zu bieten haben.“
Jemasmy seufzte resigniert: „Nun, ich sage dir, als ich noch Sackdiener in Thrincule war, lagen die Dinge anders in Cantou.“ Er griff sehr vorsichtig in seinen Sack, so als ob er eine glühende Kohle darin vermutete. Über eine kühle, harte Schale strich seine Hand, bis er eine kleine Vertiefung fand. Jemasmy legte einen Finger in diese Vertiefung und drückte sanft, bis er spürte, daß die Stelle unter seinem Finger weich wurde und ein wenig einsank. Dann zog er hastig seine Hand zurück und fuhr fort: „In Cantou konnte man immer sicher sein, daß ein Mittler und sein Sackdiener anständig behandelt wurden. Ohne Niedertracht.“
Morgin stimmte zu: „Ganz Kepture ist aufgebracht über diese Zustände. Einst zog ich durch das große Chengurune und die Morgenländer des Ostens, dort gab es Mittler im Überfluß. Hier jedoch fehlen sie überall.“
„Und in Glordune erst“, fügte Jemasmy hinzu.
„Glordune kann warten“, sagte Morgin, „das ist nichts für mich.“
„Für mich auch nicht“, kommentierte Jemasmy, „dort sind sie noch sehr rückständig, so sagt man jedenfalls.“
Von seinem Platz bei den Saumern brummelte Benne eine Melodie herüber: „Der Glorduner säuft wie ein Fisch, liegt meist unter dem Tisch. Doch von früh morgens bis spät spricht er der Dame ein Gebet.“ Benne-der-Klon war einst Seemann gewesen und war auch die Häfen von Glordune angelaufen, dem wildesten der vier Kontinente.
Morgin sagte leicht irritiert: „Ehre sei der Heiligen Zermille, die Mittler aber hat sie nicht geschaffen und auch nicht den Bund {9} der Stämme; das tat Cretus, der Schriftkundige.“
Jemasmy ergänzte murmelnd den rituellen Spruch: „… in Zeiten vor Incanas Verrat, der das Reich verwehte wie Sand. So werden die Klesh nun niemals ihre angestammte Heimat in den Sternen wiederfinden.“
Morgin sagte mehr zu sich selbst: „Oh, dieser alte, seltsame Traum … Hat sich der Wendel schon entkrustet?“
„Noch nicht ganz, Morgin.“ Jemasmy griff vorsichtig tastend in den Sack. „Aber er ist schon deutlich weicher.“
Morgin nickte zustimmend. Er hatte es auch gar nicht anders erwartet, denn unten im Delta hatte er den Wendel sehr stark beansprucht, hatte seine Belastbarkeit bis an ihre Grenzen ausgeschöpft. Aber er hatte ihm niemals die Zusammenarbeit verweigert; das war seltsam.
Der Wendel war eine der ursprünglichen Lebensformen des Planeten. Er hatte erstaunliche Fähigkeiten, aber er unterlag auch merkwürdigen Beschränkungen. Niemand wußte genau, was ein Wendel wirklich war. Auch hatte nie jemand mitteilen können, wie er sich ernährte, lebte, ausschied oder sich vermehrte. Falls er überhaupt Handlungen ausführte, die man mit diesen Ausdrücken hätte bezeichnen können. Für gewöhnlich war er an seinen Standort gebunden; jedoch konnte der Wendel Scheinfüße bilden und sich auf diesen bewegen. Dies geschah aber nur äußerst selten.
Während der Wendel also kaum Wesensmerkmale mit anderen Lebensformen gemein hatte, besaß er jedoch zwei Eigenschaften, die als außergewöhnlich nützlich allgemein anerkannt waren: Da war zunächst die Sprache – zu den Menschen vermittels Schallwellen und auf unbestimmte Weise zu Wesen seiner Art. Bei der innerartlichen Verständigung schien es keine Entfernungsgrenzen zu geben. {10}
Seine zweite Fähigkeit war von viel größerem Nutzen und noch weniger zu erklären: Der Wendel besaß die absolute Wahrnehmung. Ohne über erkennbare Sinnesorgane zu verfügen, war der Wendel in der Lage, die Position und den Zustand von allen Dingen in seiner Umgebung zu bestimmen. Dies war seine unnachahmliche Befähigung zum Überleben. Ein wilder Wendel beobachtete ständig seine Umgebung, und beim ersten Anzeichen einer ernstzunehmenden Gefahr krustete er sich ein. Dann war er unverletzbar für alle Waffen, die man bisher auf Monsalvat benutzt hatte. Feuer, Schwerter, Geschosse, sie alle waren einander gleich in ihrer Nutzlosigkeit. Wenn man sie auf Scheiterhaufen legte, verschwanden sie, warf man sie von Felsen, konnte man sie nicht mehr wiederfinden. Nahm man sie mit ins All hinaus, waren die Behälter leer, wenn man sie öffnete.
Es gab keine jungen Wendel. Auch wurden sie nie dabei beobachtet, wie sie sprossen, Knospen bildeten, sich paarten oder irgendeine Handlung ausführten, die man als Akt der Vermehrung hätte bezeichnen
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