Sturm auf mein Herz
er sich irrte.
»Du verstehst einfach nicht...«, flüsterte sie verzweifelt.
Das war alles, was sie sagen konnte. Die einzige Wahrheit, die sie kannte.
»O doch, ich verstehe sehr gut«, antwortet er barsch.
Mit eisiger Miene stieg er aus dem Bett und begann sich zornig anzuziehen. Dabei redete er. Worte, so scharf wie Messerstiche.
»Ich bin derjenige mit der erschreckenden Menschenkenntnis, schon vergessen? Und so viel weiß ich: Du liebst mich nicht mal genug, um dein kostbares Zuhause auch nur zeitweise aufzugeben und mit mir zu kommen. Du liebst mich kein verdammtes bisschen.«
Der Schmerz und die Bitterkeit, die sie aus Cains Worten heraushörte, überraschten Shelley, ja verblüfften sie. Er war ebenso verletzt und zornig wie sie.
»Ich liebe dich!«, sagte sie heftig.
»Den Teufel tust du. Das Einzige, was du liebst, ist die Vorstellung von einem Zuhause. Du hast deine Kindheit noch immer nicht überwunden. Du weißt noch immer nicht den Unterschied zwischen dem Anschein eines Zuhauses und dem, was ein Zuhause wirklich ist.«
Vollständig angezogen stand er im Schlafzimmer und schaute sich zum ersten Mal darin um, sah die Fellkisten und die Kommoden, die Teppiche, das Foto von der Erde, die über der großen runden Scheibe des Mondes aufgeht, die tigergestreifte Sahara, das uralte Messingteleskop und das wirbelnde Universum.
»Hübsch«, sagte er aufrichtig. »Sehr, sehr hübsch. Und wenn ich gehe, wird es hier ebenso leer sein wie deine Liebeserklärung.«
Shelley stockte der Atem.
»Aber das weiß du ja nicht, stimmt’s?«, fuhr er fort. »Du willst nicht mal zugeben, dass da draußen eine ganze Welt auf dich wartet und dass das einzige Zuhause, was der Mensch braucht, die Liebe ist. Nun, ich weiß, was da draußen ist, und ich will verdammt sein, wenn ich mich hier mit dir verstecke, Backe-backe-Kuchen spiele und darauf warte, dass du endlich erwachsen wirst.«
Er öffnete die Schlafzimmertür, hielt inne und blickte sie mit ausdruckslosen Augen an.
»Schick die Rechnung an Basic Resources, Hauspflänzchen. Dieser Wandersmann macht, dass er wegkommt.«
20
Als Shelley in ihrem Laden stand und Billys Vater ansah, konnte sie nur eins denken - wie froh sie war, dass Dave Cummings und Cain Remington nur Stiefbrüder waren und keine echten. Dave besaß dunkelblondes Haar, braune Augen und ein helles Lächeln.
Wenn er Cain auch nur im Entferntesten geähnelt hätte, sie hätte nicht gewusst, wie sie ihre Gefühle hätte verbergen können. In den drei Wochen, seit Cain aus seiner Wohnung und aus ihrem Leben verschwunden war, hatte Shelley gelernt, dass es etwas weitaus Schlimmeres gab, als in der Nacht nach Hilfe zu rufen und nur fremde Laute als Antwort zu hören.
Zu rufen und nur Stille zu hören zerriss ihr die Seele.
»Ich möchte mich nochmals bedanken, dass Sie sich so nett um meinen Sohn gekümmert haben«, sagte Dave.
Sie lächelte schwach. »Es war mir eine Freude, ihn um mich zu haben. Sie haben einen wundervollen Sohn.«
Ohne es zu wollen, streckte sie die Arme nach Billy aus. Er brauchte sie jetzt nicht mehr, nachdem sein Vater wieder da war, aber sie hatte das Lachen des Jungen vermisst und seinen flinken, wissbegierigen Verstand.
Billy schlang die Arme um sie und drückte sie. Sein Strahlen verriet ihr, dass er sich ebenso freute, sie zu sehen. Dann trat er zurück und sah ihr mit der ungekünstelten Ehrlichkeit eines Kindes in die Augen.
»Warst du krank, Shelley?«
Dave blickte von Billy zu der dunkelhaarigen Frau mit den großen, traurigen Augen.
»Sei nicht unhöflich, Sohn.«
»Bin ich nicht.« Er musterte sie noch genauer. »Du solltest mehr an den Strand gehen. Du bist blass.«
»Billy«, sagte Dave warnend und griff nach ihm.
»Ist schon gut.« Sie berührte die Wange des Jungen. »Ich hatte in letzter Zeit viel Arbeit aufzuholen.«
»Na ja, jetzt wo Onkel Cain wieder da ist, kannst du ja ...«
Den Rest hörte sie nicht mehr. Falls sie zuvor blass gewesen war, war sie nun weiß wie eine Wand.
Cain ist wieder da.
Er hat mich nicht angerufen.
All die endlosen Stunden der Einsamkeit, und er versteht mich noch immer nicht, glaubt noch immer nicht, dass ich ihn liebe. Oder vielleicht hat er ja beschlossen, dass er mich doch nicht liebt.
Hauspflänzchen. Kind. Backe-backe-Kuchen spielen.
Dave trat vor und ergriff Shelley am Arm.
»Miss Wilde? Alles in Ordnung?«
Sie holte tief Luft und versuchte zu lächeln. »Mir geht’s gut. Bin bloß müde. Hab letzte
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