Sturm der Seelen: Roman
hatte, wie seine Mutter erschossen wurde, um dann auch noch gekidnappt zu werden, hätte er Bruce eigentlich schreiend in die Arme laufen müssen. Bruce hatte erwartet, dass sie den Jungen irgendwo eingesperrt hielten, nicht hier draußen im Freien, wo er jederzeit weglaufen konnte. Eigentlich war er gekommen, um den Kleinen aus den Händen seiner Entführer zu befreien, stattdessen blieb Jake anscheinend freiwillig bei ihnen. Die ganze Sache stank. Bruce fühlte sich Richard gegenüber nicht verpflichtet, und gegenüber diesen anderen hier schon gleich gar nicht. Er war gekommen, um den Jungen zu retten, und das würde er auch tun.
Er ging einen Schritt auf Jake zu, aber die Frauen stellten sich dazwischen, und ein, zwei halbwüchsige Jungs stellten sich wiederum vor sie – selbst fast noch Kinder und unbewaffnet setzten sie sich einer nicht geringen Gefahr aus, und das, um einen kleinen Jungen zu beschützen, den sie kaum kannten. Solange er nicht wusste, was genau hier vor sich ging, würde er extrem vorsichtig sein müssen.
»Setzt euch in Bewegung«, brummte er und deutete mit dem Gewehrlauf auf die zugeschneite Verteidigungsmauer.
Adam ging als Erster los und hatte alle Mühe, das Zittern seiner Beine unter Kontrolle zu halten. Er blickte sich noch einmal um und sah, wie Evelyn ihm hinterherschaute, starr vor Angst. Phoenix stand direkt hinter ihr, er war blasser denn je.
»Umdrehen«, sagte Bruce und folgte den dreien auf ihrem Weg über die Barriere, hinaus auf das Eis. Am Horizont wartete die Insel, gekrönt von einem Feuer, das schon bald nach verbranntem menschlichem Fleisch riechen würde.
XL
IN DEN RUINEN VON DENVER, COLORADO
Tod stieg über die Knochen der Erretteten, blankgenagt von den Verdammten, hinweg und bahnte sich zwischen Schutt und Asche hindurch seinen Weg hinunter in die unterirdischen Stockwerke. Es stank bestialisch nach Fäulnis und Verwesung, aber er nahm den Geruch nicht einmal mehr wahr. Durch die Augen von Krieg konnte er sehen, dass die entscheidende Schlacht kurz bevorstand, dennoch verspürte er ein wachsendes Unbehagen, das an ihm fraß wie Würmer an einer Leiche. Der Herr zeigte ein Mitgefühl für Seine sterbliche Schöpfung, wie es in den vergangenen Wochen nicht da gewesen war. Es war, als stelle Er sich jetzt gegen die Legionen, die Er selbst auf den Plan gerufen hatte, um das Antlitz der Erde von der menschlichen Pest zu befreien. So lag es in der dichotomen Natur des Schöpfers, Tod wusste es nur zu gut, aber sein Auftrag war ihm heilig, und er würde ihn ausführen – koste es, was es wolle. Er war auf die Erde gekommen mit nur einem einzigen Ziel, einem Auftrag, dem er sich nicht entziehen konnte. Das, was an ihm einmal menschlich gewesen war, war tot, schwelte nur noch vor sich hin in einem Glutofen aus Hass, dessen giftige Dämpfe aus seinen Eingeweiden dünsteten und seine Kehle verbrannten.
Und jetzt befand er sich in einer Lage, wie er sie niemals hätte voraussehen können. Er musste es gleichsam mit dem aufnehmen, der ihn erschaffen hatte, in eine Schlacht ziehen, in welcher der Allmächtige Kämpfer auf beiden Seiten hatte. War er am Ende doch nicht als ihr Scharfrichter auf den Plan gerufen worden, sondern lediglich, um sie zu testen, herauszufinden, ob sie es nicht doch wert waren zu leben? Die Vorstellung war absurd, und doch beschrieb sie exakt, was gerade vor sich ging. Waren sie denn nichts als Spielzeugsoldaten, aufgestellt zu einer Schlacht, die lediglich eine Art kosmisches Schauspiel darstellen sollte? Und selbst wenn, Tods Bestimmung war die Zerstörung, sie war alles, was er kannte. Er weidete sich an dem göttlichen Schmerz der Sterbenden und an dem verrottenden Fleisch der Toten.
Mochte sein, dass es Gottes Wille war, der ihn in diese lächerliche physische Hülle gesteckt hatte, aber sein Wille war es, der Menschheit ein für alle Male ein Ende zu bereiten. Gott hatte sich von ihnen abgewendet und Tod auf sie losgelassen, um sie zu vernichten, und jetzt stand Er hinter dem Vorhang und sah heimlich zu. Doch ganz gleich, auf welcher Seite Er insgeheim auch stehen mochte, Tod würde seine Bestimmung erfüllen und auch diesen letzten Rest der Menschheit auslöschen.
Ob es nun Gottes Wille war oder nicht.
Er bahnte sich weiter seinen Weg durch das Labyrinth der Zerstörung, vorbei an den Fäkalienhaufen, mit denen der Schwarm die Finsternis noch vor seinem Aufbruch verpestet hatte, immer tiefer, bis er das Herz der Mutter Erde
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