Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
stieß ohne Unterlass seinen Ruf aus, die Pferde wieherten, der Wald rauschte, Luk und Ga-nor unterhielten sich, Yumi fiepte begeistert.
»Da platzt doch die Kröte! Dass du auch noch mal aufwachst!«, bemerkte Luk grinsend. »Ich hab schon gedacht, dass du einen Mohntrank zu dir genommen hättest. Ich konnte dich beim besten Willen nicht wecken.«
Ich murmelte etwas Unverständliches. Die hoch stehende Sonne ließ mich blinzeln, ihre Strahlen fielen mir direkt in die Augen und verursachten mir fürchterliche Kopfschmerzen. Fast als hätte ich gestern tatsächlich Schnaps getrunken. In diesem Zustand fiel es mir nicht gerade leicht zu begreifen, dass inzwischen einige Menschen zu uns gestoßen waren.
Shen, Rona und Mylord Rando hatten uns entgegen all meinen Zweifeln doch gefunden.
»Seit der Schlacht in Bragun-San ist fast ein Monat vergangen«, sagte Shen. »Wie die Zeit verfliegt.«
»Mhm«, brummte ich.
Wir ritten etwas hinter den anderen und sprachen leise miteinander. Shen war in den Tagen, da wir uns nicht gesehen hatten, weiter zum Mann herangereift. Sein Gesicht prägten nun einige scharfe Falten, die Lippen hielt er zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Wenn er seinen Gedanken nachhing, stahl sich ein kalter, stechender Ausdruck in seine Augen. Außerdem hatte er sich einen Vollbart stehen lassen, ein Anblick, an den ich mich erst gewöhnen musste. Doch auch in seinem Verhalten hatte sich etwas geändert: Er war bei Weitem nicht so aufbrausend wie früher, ging nicht mehr bei jedem Wort in die Luft oder spielte den Beleidigten.
»Ich hatte schon befürchtet, dass wir euch nie einholen.«
»Weshalb wolltest du das überhaupt?«
»Bitte?« Er sah mich verständnislos an, lachte dann aber schallend. »Du gefällst dir doch zu gut in der Rolle des einsamen alten Grauen! Aber die Menschen müssen einander beistehen.«
Statt etwas zu erwidern, lauschte ich erst einmal hingebungsvoll dem Geschrei der Wachteln im Gras und betrachtete mit großem Ernst Mylord Randos Rücken.
»Wahrscheinlich sollte ich unglaublich geschmeichelt sein«, brachte ich schließlich heraus, »dass zwei Funkenträger und ein Ritter alles stehen und liegen lassen, nur um mich zu begleiten.«
»Du hast dir eine wichtige Aufgabe gestellt. Zudem eine, die nicht nur für dich wichtig ist. Vielleicht brauchst du da Hilfe.«
»Nimm’s mir nicht übel, mein Freund, aber ich glaube, selbst uns alle zusammen erledigt Scharlach binnen fünf Sekunden.«
»Vermutlich hast du recht«, gab Shen zu. »Aber die fünf Sekunden, die Scharlach für Rona und mich drangeben muss, könnten dir vielleicht reichen, ihr schwarzes Herz zu durchbohren. Allerdings hoffe ich auf ein anderes Ende dieser Geschichten.«
»Selig seien die Träumer, denn sie werden als Erste eingehen in das Reich Meloths«, nuschelte ich. »Ob wir zu viert sind oder ein ganzes Dutzend – für sie spielt das doch überhaupt keine Rolle. Wenn Scharlach wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte ist, wird sie uns genauso töten, wie sie Thia getötet hat. Es sei denn natürlich, du kennst irgendeinen wunderwirkenden Zauber.«
Darauf blieb mir Shen die Antwort schuldig.
»Damit gibt es also nur eine Möglichkeit«, fuhr ich fort. »Ein Schuss aus sicherer Entfernung.«
»Wer weiß?«, erwiderte Shen diesmal immerhin und lächelte Rona zu, die sich gerade zu uns umdrehte.
Auch sie hatte sich verändert. Sie ritt in Männerkleidung vor uns her, mit einem Dolch am Gürtel. Das Haar war nicht gerade vorbildlich geschnitten, an ihrer Unterlippe prangte eine kleine weiße Narbe, und ihre Augen zeigten den gleichen Ausdruck wie die Shens, manchmal kalt, manchmal angespannt, sehr oft besorgt. Auch ihr Auftreten war nicht mehr das von einst: Nichts zeugte noch von der unsicheren, verängstigten jungen Frau, die wir bei Talki angetroffen hatten.
»Quälen sie immer noch ihre Träume?«
»Nein. Ich glaube, ich konnte sie endgültig von den Folgen der Begegnung mit Lepra heilen.«
»Das freut mich«, sagte ich, um dann das Thema zu wechseln: »Berichte mal, was geschehen ist, seit ich euch verlassen habe.«
»Oh, du hättest uns sehen sollen«, fing Shen grinsend an. »Nach dem Tod von Typhus und all den Nekromanten waberte so viel Kraft in der Luft, dass ich beinah geplatzt wäre, nachdem ich sie eingesammelt hatte. Was für ein Fest … Wir konnten noch nicht einmal alle Kraft in uns aufnehmen. Die Nirithen haben uns aber versprochen, sie mit der Flamme aus dem laut singenden Berg
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