Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Kuppel, mit der uns Rona gegen die kleinen Steine schützte, die noch immer vom Felsrand herabrieselten. Ich schielte zu dem riesigen Eisblock hinüber, unter dem die Hinterbeine des zerquetschten Pferdes hervorlugten. Blieb zu hoffen, dass Ronas Schild auch halten würde, falls noch einmal etwas von diesen Ausmaßen niederkrachte.
Shen mühte sich mit Typhus ab. Seine Handbewegungen wirkten zwar ausgesprochen sicher, dennoch spiegelte sich auf seinem Gesicht Zweifel wider. Rona presste schweigend ein Stück Stoff auf die Wunde der Verdammten. In der Nähe von Typhus’ Kopf lag ein Stein, der die Größe von drei Fäusten hatte. Der hatte sie erwischt – und bei seinem Anblick konnte ich mich nur wundern, dass die Frau überhaupt noch atmete.
»Was für ein unglücklicher Zufall«, murmelte ich. »Sollte tatsächlich ein schlichter Stein eine Verdammte ins Reich der Tiefe befördert haben?«
»Sieht ganz danach aus«, antwortete Shen. »In ihr Hirn sind Knochensplitter eingedrungen. Die Sache steht sehr schlecht. Selbst wenn ich die Blutung stille, wird sie die nächste Stunde wohl kaum überleben.«
»Dann hat die Vorsehung also beschlossen, sie für ihre Sünden zu strafen«, sagte Rona.
In diesen Worten schwang keine gestillte Rache oder Genugtuung mit, allerdings auch kein Mitgefühl.
»Ihr habt also nicht die Absicht, ihr zu helfen?«, fragte ich, um mich dann ausschließlich an Shen zu wenden: »Ich meine … mit deiner Gabe als Heiler und dem ganzen Kram.«
»Würdest du das denn wollen?«, fragte Shen müde, wenn auch nicht bissig. »Ich meine, dass sie am Leben bleibt.«
Rona, zwischen deren Fingern immer noch das Blut der Verdammten hervorquoll, sah mich forschend an.
»Eigentlich nicht«, räumte ich ein. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ist das Reich der Tiefe genau der Ort, wo ich sie hinwünsche. Deshalb teile ich eure Meinung in dieser Frage.«
»Aber …?«, fragte Rona leise.
»Aber wir brauchen sie, das wisst ihr so gut wie ich. Ihr müsst noch jede Menge lernen. Und die Verdammte ist die einzige Frau, die euch all das beibringen kann. Dieses Wissen ist ungeheuer wertvoll. Außerdem habe ich ein persönliches Interesse daran, dass sie nicht stirbt, denn sie soll mir noch helfen, mit denjenigen fertigzuwerden, die für Lahens Tod verantwortlich sind.«
Shen nickte mit finsterer Miene, um mir zu bedeuten, dass ich recht hatte, zögerte aber trotzdem.
»Abgesehen davon wissen wir nicht, was mit ihrem Geist geschieht, wenn ihr Körper stirbt«, brachte ich ein weiteres schlagendes Argument vor. »Ihr zwei wäret hervorragende Behältnisse für eine Dame wie sie. Was, wenn die Verdammte plötzlich in Ronas Körper fährt?«
»Das ist doch Unsinn. Um in einen anderen Körper zu gelangen, ist ein bestimmter Zauber nötig. Den kenne ich aber nicht. Sie hätte deshalb nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.«
»Wir müssen eine Entscheidung treffen, Shen«, mahnte Rona leise. »Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Ich weiß«, brummte Shen, um dessen Hände nun ein warmes Licht aufstrahlte. »Ich weiß. Ness, wenn ich diesen Schritt irgendwann bedauere, dann erinnere mich daran, dass ich einfach nicht wollte, dass mir ein Mensch unter den Händen wegstirbt. Nicht mal ein so widerlicher wie Typhus.«
»Du hast die richtige Entscheidung getroffen«, sagte ich am Abend zu Shen.
»Gut möglich«, entgegnete er mürrisch. »Und ich hoffe inständig, dass wir nicht eines Tages dafür bezahlen müssen, ihr das Leben gerettet zu haben.«
»Das wird sich zeigen, mein Kleiner.«
»Könntest du vielleicht endlich aufhören, mich
mein Kleiner
zu nennen?«, fuhr er mich an. »Das hängt mir zum Hals raus.«
Ich sah ihn aufmerksam an und klopfte ihm schließlich auf die Schulter.
»Freut mich, dass du erwachsen geworden bist«, meinte ich grinsend.
»Dann haben wir uns ja verstanden«, murmelte er ungläubig, um sich dann zu räuspern und das Thema zu wechseln: »Übrigens wollte ich dir schon lange sagen, dass ich sehr stolz darauf bin, den Mann zu kennen, der die Welt vom Verdammten Schwindsucht befreit hat!«
»Fang du nicht auch noch damit an«, verlangte ich, streifte mir die Kapuze vom Kopf und hielt das Gesicht in den eisigen Wind. »Oder willst selbst du aus einem Gijanen einen Helden machen?!«
»Nicht jeder wäre dieses Risiko eingegangen.«
»So riskant war das gar nicht«, entgegnete ich achselzuckend.
»Hier, ich will, dass du die an dich nimmst.« Er hielt mir eine
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