Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Pfeilspitze aus diesem seltsamen weißen Material entgegen. »Es ist die vorletzte. Vielleicht triffst du ja noch jemanden von dieser Bande …«
»Ich glaube nicht, dass mir das Schicksal zweimal hintereinander einen solchen Gefallen erweist«, sagte ich, nahm die Spitze aber dennoch an mich. »Andererseits schadet es bei unserer gemeinsamen guten Bekannten nie, einen Maulkorb auf Vorrat zu haben. Wie geht es ihr?«
»Sie ist noch immer bewusstlos. Die Knochen sind wieder zusammengewachsen, die inneren Verletzungen offenbar geheilt. Aber sie hat sehr viel Blut verloren …«
»Wird sie es überstehen?«
»Sie klammert sich heftiger ans Leben als jede Katze«, erklärte er. »In ein paar Tagen dürfte sie wieder wohlauf sein. Hauptsache, dass bei ihr nicht irgendwas im Kopf ausgehakt ist. Denn schlimmer als eine Verdammte ist nur eine
verrückte
Verdammte.«
»Wenn sie herumläuft, kichert und mit Feuerkugeln um sich wirft, erschieße ich sie«, versprach ich. Und das war mein voller Ernst.
Shen nickte mir ebenso ernsthaft zu und verließ mich, um zu Rona zu gehen.
Doch auch am nächsten Tag hatte sich Typhus’ Zustand nicht gebessert. Sie war nach wie vor bewusstlos, außerdem machte ihr nun hohes Fieber zu schaffen.
Shen behandelte sie jede Stunde mit seinem goldenen Licht. In der Gruppe hatte sich rasch die Neuigkeit herumgesprochen, dass ein Heiler – und eben kein schlichter Glimmender – unter uns war. Anscheinend hoffte nun jeder darauf, Shen würde ihn von allen Krankheiten heilen, vor allem aber jede Wunde verarzten. Die wundersame Rettung
unseres Pork
bildete jedenfalls das Gespräch des Tages.
Trotz des Zustands der Verdammten zogen wir weiter, denn jede Minute zählte. Typhus mitzunehmen bereitete uns natürlich erhebliche Schwierigkeiten. Der Pfad war zu schmal, als dass zwei Pferde nebeneinander Platz gehabt hätten, weshalb die Möglichkeit, eine Trage mit der Verletzten zwischen ihnen einzupassen, wegfiel. Auch eine Art Schlitten schied aus, dazu war der Weg zu uneben und steinig. Was immer wir auch zurechtzimmern würden, es würde in sich zusammenbrechen.
Mylord Woder schlug vor, den Glimmenden Pork am Sattel festzubinden. Er hielt das für eine sehr ausgeklügelte Lösung.
Daraufhin erbot sich Ghbabakh, Pork zu tragen.
Zunächst zweifelten alle daran, dass der Blasge das tatsächlich schaffen könnte. Er bestand jedoch auf seinem Vorschlag. Da Shen keine Einwände erhob, war die Sache entschieden, und Ghbabakh trug Typhus ohne jede Mühe während unseres gesamten Tagesmarschs.
Die Ye-arre erwiesen sich als wahre Helden und stiegen trotz des strengen Frosts immer wieder in die Luft auf, um uns vor Lawinen oder verschütteten Pfaden zu warnen. Dadurch brauchten wir nie irgendwo umzukehren und kamen alles in allem recht gut vorwärts.
Die schneebedeckten Gipfel hier waren genauso hoch wie die mächtigen Hauptkämme in den Katuger Bergen, im Unterschied zu jenen spitzen, hauerartigen Felsen jedoch eher sanft geneigt und häufig doppelbucklig. Angeblich hatten sie – wie auch der Vulkan Grokh-ner-Tokh in Bragun-San – in der Jugend Haras Feuer gespien.
Mittlerweile waren sie jedoch seit Langem erloschen. Dafür gab es jetzt warme Heilquellen und Mineralseen, hier und da spritzten auch heiße Fontänen aus dem Boden.
Unsere Späher machten diese warmen Quellen schon von Weitem aufgrund des weißen Dampfs aus, der über den Felsen aufquoll. Die nicht sehr tiefen Seen mit ihren gelblichen Steinen am Grund und den winzigen Blasen an der Oberfläche weckten jedes Mal aufs Neue meine Neugier. Das Wasser war ziemlich heiß und schmeckte überhaupt nicht. Yumi badete sich voller Genuss darin, fiepte was von seinem Hund, zitterte aber anschließend wie ein Blatt im Wind, bis Rona sich seiner erbarmte und ihn mit ihrem Funken
abtrocknete.
Immerhin gab es hier deutlich weniger Schnee, sodass auch die Pferde nach einem Tagesmarsch nicht mehr so ausgelaugt waren wie bisher. Yalak, ein stets lächelnder und geselliger Flatterer, der sich schon bald mit Kallen und Luk angefreundet hatte, kam eines Abends von einem Erkundungsflug zu uns zurück und erklärte mit düsterem Gesichtsausdruck, er habe zwei Schluchten südlich den Schneeklan der Ye-arre in Begleitung von einem Dutzend Ascheseelen ausgemacht. Daraufhin erhoben sich Yakar und Yanar sofort in die Luft und stiegen hoch über die in der Dämmerung liegenden Felsen auf.
»Was haben die hier verloren?«, grummelte Woder, der Onkel von
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