Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
kleiner.
Und wie, wenn dieser Jemand auch noch über den dunklen Funken verfügt und schon mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel hat?
Gleich null, würde ich sagen. Das kann man vergessen. Da fände man ja noch eher die Insignien des Imperators oder einen mit Diamanten besetzten Schulterriemen auf der Straße.
Dutzende von Spionen des Turms hatten Scharlach gesucht, hatten die Straßen des Imperiums durchkämmt – aber nur wir waren ihr auf die Spur gekommen.
Indem wir überall gefragt und die Ohren offen gehalten hatten. In den Katuger Bergen, an sämtlichen Pässen, im Hafen von Loska und im nördlichen Teil der Bluttäler.
Wovon durften wir ausgehen? Scharlach würde mit Sicherheit nicht zur Burg der Sechs Türme eilen, denn da wimmelte es nur so von Schreitenden. Ohne Frage würde sie die Hetzjagd in einem abgelegenen Kaff abwarten, um sich dann klammheimlich zur Grenze der Goldenen Mark zu begeben und von dort aus mit einem Schiff davonzusegeln.
Ich jedenfalls hätte es so gehandhabt.
Vor einer Woche hatte sie tatsächlich frische Pferde gekauft …
Und heute, nach fast drei Monaten Jagd, saß Mithipha Danami, die Verdammte Scharlach, hier vor mir.
Sie verschlang die Seiten förmlich, die schönen Lippen dabei lautlos bewegend. Beim Anblick Scharlachs zuckte ich innerlich zusammen. Hinter der prachtvollen Maske verbarg sich ein schreckliches Geschöpf, ein Sdisser Hundertfüßer, eine schlaue und gerissene Kreatur. Wir mussten leicht wahnsinnig sein, wenn wir uns mit ihr anlegten. Aber hatten wir denn eine andere Wahl? Gut, die anderen aus unserer kleinen Gruppe hätten sich durchaus von dem Unternehmen verabschieden können – Lahen und ich mussten diesen Weg jedoch bis zum Ende gehen. Er war unsere einzige Hoffnung …
»Wo hast du die her?«, fragte Scharlach, nachdem sie ihren Blick endlich von den Seiten gelöst hatte.
Kein Wunder, dass sie diese Zeilen fesselten. Als ich vorgeschlagen hatte, diesen Köder auszuwerfen, war Rona nicht besonders glücklich gewesen. Es kam Gotteslästerung gleich, einige Seiten aus dem Werk des Skulptors herauszureißen. Am Ende sah Rona jedoch ein, dass wir einen
sehr
leckeren Happen auswerfen mussten, damit ein solch großer Fisch anbiss. Schweren Herzens hatte sie also in den Plan eingewilligt. Ich hatte fünf Seiten herausgerissen und ihr hoch und heilig versprochen, sie ihr unversehrt und vollständig wiederzugeben.
»Die habe ich bei guten Menschen gekauft, Herrin.«
Sie schüttelte den Kopf und erklärte mit kalten Augen: »Du lügst, Händler.«
Einer ihrer Leibgardisten spannte sich sofort an.
»Selbstverständlich lüge ich, Herrin«, gab ich lachend zu. »Aber ist es denn so wichtig, woher ich diese Seiten habe?«
»Ja«, sagte sie scharf. »Also versuch es noch einmal mit einer Antwort.«
Ich gab vor zu zögern, beugte mich dann aber zu ihr vor und flüsterte: »Vor ein paar Wochen haben mein Partner und ich ein paar Leichen entdeckt. Im Wald. Unter ihnen war auch eine Schreitende. Diese Seiten fand ich bei ihr.«
»Fahr fort.«
Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und zuckte die Achseln.
»Ich bereichere mich wirklich nicht gern auf Kosten anderer«, versicherte ich. »Aber hier ging es um wertvolle Schriften, da habe ich mir gedacht: Was brauchen die Toten sie noch?«
»Sind diese Seiten alles, was du bei ihr gefunden hast?«, fragte sie, während ihre Finger sanft über das vergilbte Papier strichen.
»Nein. Aber ich habe beschlossen, diesen Schatz seitenweise zu verkaufen. Es dürfte kaum jemand reich genug sein, ein ganzes Buch zu erstehen, das noch aus der Zeit des Skulptors stammt. Deshalb werden solche Sachen in der Regel in Teilen gehandelt.«
Scharlach nickte mir bestätigend zu, doch in ihren Augen stand geschrieben, dass sie mich mit Freuden getötet hätte, weil ich dieses wertvolle Buch zerrissen hatte.
»Ich kaufe dir das ganze Buch ab.«
»Aber Ihr wisst«, sagte ich und kratzte mich am Hinterkopf, »dass allein diese wenigen Seiten mehr kosten als die beiden anderen Bücher zusammen?«
»Das ist mir klar«, erwiderte sie. »Aber ich werde für diese Ware Geld auftreiben. Falls du nicht einen allzu unverschämten Preis verlangst, versteht sich.«
»Darüber muss ich mich erst mit meinem Partner beratschlagen.«
Ich erhob mich und gab Luk ein Zeichen. Da ich fürchtete, Scharlach könne uns belauschen, traten wir in die Nacht hinaus.
»Und?«, flüsterte Luk. »Ist sie es?«
»Ja.«
»Bei Meloth!«, stieß er
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