Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Gehenkten erreichte. Obendrein zog die neue Armee mit dem Imperator an der Spitze über die Katuger Berge und machte den Nabatorern, die sich noch im Süden des Landes aufhielten, Feuer unterm Hintern.
Auf Widerstand stieß sie dabei kaum. Die gemeinen Soldaten der Gegner träumten nämlich nur noch davon, das Imperium so schnell wie möglich zu verlassen. Außerdem wussten sie, dass sie gegen die Schreitenden kaum Chancen hatten.
Zu Beginn des Herbsts war ein großer Teil des Südens befreit. Die Nabatorer waren zur Burg der Sechs Türme gedrängt, ins Austernmeer getrieben und am Linaer Moorpfad erschlagen worden. Die entscheidenden Kämpfe fanden jedoch in Uloron und im Sandoner Wald statt, denn im Unterschied zu den Nabatorern konnten sich die Hochwohlgeborenen nirgendwohin zurückziehen. Ich hoffte inständig, dass die Spitzohren diesmal endlich unterm Schatten ihrer heißgeliebten Eichen landeten und dort verfaulten.
Auch die Verdammten hatte man in dieser Schenke beim Wickel. Allerdings wusste man nur vom Tod Pests und Schwindsuchts. Dass auch Thia, Blatter und Lepra inzwischen im Reich der Tiefe weilten und Scharlach auf der Flucht war, war hier noch nicht angekommen. Entsprechend schossen wilde Vermutungen ins Kraut. Einige behaupteten sogar steif und fest, diese vier Verdammten seien inzwischen längst in Sdiss.
Während ich noch in aller Gemütlichkeit aß, stapfte Luk schon mal zu den Würfelspielern rüber. Scharlach wechselte kaum ein Wort mit den beiden Männern an ihrem Tisch. Allmählich fürchtete ich, sie würde gleich schlafen gehen. Trotzdem zwang ich mich, nichts zu überstürzen.
Mit gelangweilter Miene beendete ich mein Essen, bestellte noch einen Shaf und hing meinen Gedanken nach. War es Scharlach also doch nicht geglückt, uns an der Nase herumzuführen. Kurz vor ihrem Tod hatte Thia mir gesagt, Scharlach sei die gefährlichste der verbliebenen Verdammten. Sowohl von ihrer Stärke als auch von ihrer Gerissenheit her. Sie führe alle hinters Licht, sogar sie, Thia, sei früher auf die Graue Maus hereingefallen.
Und Thia hatte recht behalten. Die Graue Maus hatte tatsächlich alle anderen Verdammten überlebt. Danach hatte sie ruhig abgewartet, um schließlich – als unsere Armee und die Schreitenden genug mit der Verfolgung der feindlichen Truppen zu tun hatten – einen Weg zu wählen, mit dem niemand gerechnet hatte.
Doch trotz dieser Durchtriebenheit hatte Scharlach es höchst eilig, das Land zu verlassen. Und in der Eile macht man bekanntlich Fehler …
Nach und nach leerte sich die Schenke. Nur vier volltrunkene Soldaten an einem Tisch vorm Tresen, die Würfelspieler und jene Gesellschaft in meinem Rücken blieben. Der Shaf in meinem halb geleerten Krug war seit Langem kalt. Nun bat ich um eine Kerze, holte aus meiner Tasche ein Buch und begann, die Seiten langsam umblätternd, darin zu lesen.
Das war Lahens Idee gewesen: Sie hatte sie entwickelt, nachdem sie sich aus Ghinorhas Gedächtnis ein bestimmtes Wissen geborgt hatte: Scharlach war eine Büchernärrin.
Sobald die Verdammte das Rascheln der Seiten hörte, drehte sie sich denn auch prompt zu mir um.
»Was liest du da?«, fragte sie.
Ich warf ihr einen verwunderten Blick zu, zögerte kurz, hielt ihr das Buch dann aber hin. Einer der Männer kam einer kaum zu erkennenden Handbewegung Scharlachs nach und nahm es an sich, um es der Verdammten zu überreichen.
»
Legenden aus fernen Ländern und von ihren Bewohnern.
Von Romdus dem Grohaner«, murmelte sie, den Blick auf den Einband des Buches gerichtet. »Ein solches Werk findet man heutzutage selten.«
Sie gab das Buch dem Mann zurück, der es sogleich an mich weiterreichte.
»Ich hatte zwei davon, Herrin«, sagte ich, während ich die Seite aufschlug, auf der ich meine Lektüre unterbrochen hatte.
»Und wo ist das zweite jetzt?«
»Das habe ich verkauft.«
»Bist du ein Bouquinist?«
»Ich? Nein, Herrin. Ich bin nur ein schlichter Händler, der alles verkauft, was ihm in die Finger kommt. Darunter auch Bücher. Gefällt Euch dieses Buch? Dann wäre ich bereit, über den Preis mit mir reden zu lassen.«
»Vielen Dank«, erwiderte sie leise lachend. »Aber ich reise lieber mit leichtem Gepäck.«
»Falls Ihr es Euch dennoch überlegen solltet oder an anderen Büchern Interesse habt, wendet Euch nur an mich. Bis morgen bleibe ich noch in diesem Dorf.«
»Hast du denn noch andere Bücher dabei?«, fragte sie.
»Ganz ruhig, Ness!«,
warnte mich
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