Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
nicht! Wo bist du denn gewesen?«
»Ich hab die hier aufgetrieben«, sagte er und hielt ihr ein Paar Schlittschuhe hin. »Ich glaube, sie müssten dir passen. Was ist, wollen wir ein paar Runden drehen?«
Der Tag hätte wirklich schöner nicht sein können. Als Algha mit geröteten Wangen lachend und zufrieden das Eis verließ, ging die Sonne bereits hinter den Berggipfeln unter. Die Menschen freuten sich des Lebens, Shaf und Wein flossen in Strömen, überall erklangen Lieder und ohrenbetäubendes Gelächter. An diesem Abend schienen die Menschen ihr ganzes Leid vergessen zu haben. Heute wollten sie einzig die Sonnenseiten des Lebens genießen.
»Das war wirklich ein prächtiger Tag!«, rief Algha aus.
Sie fühlte eine angenehme Müdigkeit in sich aufsteigen. In diesem Zustand ärgerten sie nicht einmal die ehrfürchtigen und begeisterten Blicke der Menge, die sich auf dem Marktplatz versammelt hatte – sie nahm sie nämlich nicht länger wahr.
»Es freut mich, dass dir unser Ausflug gefallen hat«, erwiderte Rayl, während er den Riemen löste, mit dem die Kufen an den Schuhen festgebunden waren, und beide Paare einem kleinen Jungen übergab, der gleich darauf mit ihnen abzog. »Ich würde übrigens vorschlagen, dass wir uns aus dem Staub machen, solange man uns vergessen hat. Andernfalls werden uns die ehrbaren Bürger dieser Stadt noch zwingen, an ihrem Festmahl teilzunehmen. Dann kommen wir vor morgen Mittag gar nicht mehr von hier weg. Aber wenn ich mich nicht täusche, habe ich dir Wein versprochen. Die Schenke ist nicht weit von hier. Wollen wir zu Fuß hinspazieren?«
»Was ist mit den Pferden?«
»Mach dir um sie keine Sorgen. Ich habe jemanden gebeten, auf sie aufzupassen«, antwortete Rayl und zog sie schon mit sich fort.
Nach wenigen Metern verließ er die Hauptstraße und tauchte in eine dunkle Gasse ein, durcheilte sie bis zur nächsten Querstraße, bog dort in einen Tordurchgang, lief über einen Hof und brachte Algha in ein Viertel, wo weder Lärm noch Gejohle zu hören war.
»Selbst wenn sie sich wieder an uns erinnern, finden sie uns hier niemals«, erklärte er, während er weiter durch das Labyrinth der schmalen Straßen eilte. »Ich mag es nämlich auch nicht besonders gern, wenn man ständig einen Kratzfuß vor mir macht. Ist doch letzten Endes alles reine Zeitverschwendung.«
»Du kennst dich in Kanderg aber wirklich gut aus.«
»Das kannst du laut sagen. Diese Stadt ist immerhin der einzige Lichtblick in dieser finsteren Gegend. Deshalb komme ich auch so oft hierher. Burg Donnerhauer hängt mir wirklich zum Hals raus. Ich hab nach Korunn geschrieben, der Rat möge doch bitte einen anderen Narren für dieses Nest finden. Ich will wieder zurück in die Hauptstadt.«
»Das möchte ich auch. Sag mal, ist es eigentlich noch weit? Ich habe eben nämlich schon eine anständige Schenke gesehen.«
»Eine anständige Schenke ist längst nicht die beste«, gab er zurück. »Keine Sorge, ich weiß schon, wo ich dich hinführe.«
Mittlerweile waren sie am Stadtrand angelangt. Hinter den Häusern rauschte der Fluss, und die Straßen waren dunkel und menschenleer. Trotzdem lief Rayl nach wie vor weiter, wobei ihm der Mund nie stillstand. Irgendwann bog er in eine Gasse ein und deutete auf ein solides, hell beleuchtetes Haus.
»Da wären wir. Hier dürften wir die einzigen Gäste sein. Alle anderen feiern am Marktplatz, deshalb wird uns in dieser Schenke niemand anstarren, als seien wir Blasgen. Komm, lass uns reingehen!«
Er stieß die Tür auf, und sie traten ein.
»Meister Rayl!«, rief ein zerzauster, stupsnasiger jüngerer Mann und sprang vom Stuhl auf. Er hatte zusammen mit einem Alten am Tisch gesessen. »An einem solchen Tag! Ich hätte nie gedacht, dass Ihr selbst heute unsere bescheidene Wirtsstube mit Eurem Besuch beehrt!«
»Das hatte ich doch versprochen«, entgegnete er lächelnd, während er Algha den Mantel abnahm. »Habt ihr vielleicht noch eine Flasche von dem guten Wein aus dem Süden?«
»Vom Blutanker? Ihr stellt Fragen, Euer Gnaden! Der Wein kommt sofort. Krächz, setz unsere Gäste an den besten Tisch! Ich bin gleich wieder da!«
Der Alte mit dem nicht gerade wohlklingenden Namen führte die beiden schweigend an den hellsten und gemütlichsten Tisch in dem kleinen Raum.
»Wollt Ihr außer Wein noch etwas anderes?«
»Es wäre nicht schlecht, nähere Bekanntschaft mit einem guten Abendessen zu schließen«, antwortete Rayl.
»Das Übliche, Euer
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