Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Ausflug?«
»Und wohin?«
»Nach Kanderg selbstverständlich. Andere Städte gibt es hier ja nicht.«
Sofort fiel ihr der Nekromant ein.
»Ich weiß nicht recht«, brachte sie zögernd heraus. »Eigentlich lieber nicht.«
»Komm schon«, redete Rayl auf sie ein. »Du verkriechst dich jetzt bereits seit einem Monat in dieser Burg. Ich an deiner Stelle wäre da längst verrückt geworden. Und bedenk doch nur, was wir heute für herrliches Wetter haben! Es wird Zeit, dass du mal etwas Abwechslung bekommst. Außerdem kenne ich eine fabelhafte Schenke, dort trinkst du mit Sicherheit die beste Milch mit Berghonig und Ahornsirup diesseits der Katuger Berge und …«
»Ist ja schon gut, du hast mich überzeugt«, fiel sie ihm lachend ins Wort, unfähig, seiner sanften Überredungswucht zu trotzen.
»Wusst ich’s doch!«, rief Rayl begeistert aus. »Ich sag dann schon mal Bescheid, dass die Männer ein Pferd für dich satteln sollen. Du ziehst dir rasch noch was an und kommst dann nach, ja?«
»In Ordnung«, sagte Algha. »Ich beeile mich.«
Zehn Minuten später saß sie bereits im Sattel und wartete an Rayls Seite darauf, dass die Pforte im Tor nach Norden für sie geöffnet wurde.
»Sollte Euch nicht besser jemand begleiten, Herrin?«, erkundigte sich der wachhabende Offizier.
Algha wollte das Angebot schon dankbar annehmen, da kam ihr Rayl zuvor: »Selbst in diesen Zeiten wollen wir es mit der Vorsicht doch nicht übertreiben«, sagte er grinsend. »In Kanderg ist es absolut ruhig.«
Unmittelbar hinter Burg Donnerhauer stieg die Straße an und wand sich in Serpentinen einen steinigen, mit Tannen bestandenen Hang hinauf, nur um anschließend in eine breite, sonnendurchflutete Schlucht hinunterzuführen, durch die ein schaumbekrönter, türkisfarbener Fluss toste. Viermal mussten die beiden über flache Steinbrücken das Ufer wechseln.
Obwohl sie knapp zwei Stunden bis zur Stadt brauchten, erschöpfte Algha der Ritt in keiner Weise, im Gegenteil, sie blühte förmlich auf. Rayl hatte recht gehabt: Sie war es müde, ständig in der Burg zu hocken. Selbst der Garten hing ihr mittlerweile zum Hals heraus. Dieser kleine Ausflug war tatsächlich genau das, was ihr gefehlt hatte.
Die Straße mündete in ein blattförmiges Tal, in dem Kanderg lag, die erste Stadt des Imperiums, die im Nordwesten entstanden war. Sie nahm das ganze Tal ein und kletterte an einigen Stellen sogar die flachen Hänge hinauf. Die Häuser ließen keine bestimmte Ordnung erkennen, Türme und Stadtmauern fehlten ganz. Doch wozu auch Befestigungsanlagen? Wenn man hier im Schutz von Burg Donnerhauer lebte …
Die Lage an der einzigen Handelsstraße in dieser Gegend sicherte der Stadt Wachstum und Gedeihen. Alle Häuser waren zweigeschossig, aus Stein erbaut und sehr gepflegt, mit wunderschönen, leuchtend roten Ziegeldächern. Der hohe, weiße Meloth-Tempel mit seinem Glockenturm und die funkelnde Spitze des städtischen Rathauses waren bereits aus der Ferne auszumachen.
»Was feiern sie denn überhaupt für ein Fest?«, fragte Algha, als sie über die mit Bändern geschmückte Hauptstraße ritten.
»Den Tag ihrer Gründung«, antwortete Rayl, um dann, als er bemerkte, wie Algha sich umsah, zu sagen: »Irgendwie scheint dich das zu wundern.«
»Nun ja, immerhin leben wir im Krieg.«
»Bis hierher ist der Krieg ja nicht vorgedrungen. Nirgendwo in der Umgebung gibt es Schlachten, Tote oder Nekromanten.«
»O nein, das sehe ich anders. Auch diese Menschen dürften vom Krieg betroffen sein. Nachdem die Reisenden und Händler ausbleiben, müssen hier mit Sicherheit alle den Gürtel enger schnallen.«
»Das haben sie auch schon. Nur sehen sie trotzdem keinen Grund, ihren Feiertag abzublasen«, erwiderte Rayl und nickte einigen Städtern zum Gruß zu.
»Wann beginnen die Feierlichkeiten?«
»Gegen Abend. Vorher habe ich aber noch eine besondere Aufgabe für dich.«
»Ach ja?«, fragte sie in gespielt verwundertem Ton. »Davon hast du bislang aber kein Sterbenswörtchen erwähnt.«
»Es sollte ja auch eine Überraschung sein«, gab er mit Verschwörermiene zurück. »Mir ist nämlich dein besonderes Talent wieder eingefallen. Und ich glaube, die Sache wird dich reizen.«
»Und das heißt …?«
»Das wirst du gleich sehen«, versprach er. »Wir sind nämlich schon da.«
Der Marktplatz war mit Wasser ausgegossen worden und hatte sich in eine riesige Eisbahn verwandelt, auf der bereits juchzende und lärmende Kinder herumtobten. Vor dem
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