Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Gnaden?«
»Selbstverständlich.«
Kaum hatte sich Krächz zurückgezogen, tauchte der jüngere Mann wieder auf und brachte einen staubüberzogenen Tonkrug und zwei Becher. Er erbrach das Siegel und goss ihnen den dunklen, fast schon bläulichen Wein ein. Algha kostete ihn.
»Der ist hervorragend«, erklärte sie, um sich dann an Rayl zu wenden. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Aber sicher«, antwortete er erstaunt. »Wie kommst du darauf, dass es nicht der Fall sein könnte?«
»Du wirkst auf einmal so bedrückt.«
»Ich habe gerade an Thirra gedacht. Sie hat diesen Wein geliebt«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. Auch der Schalk schaute ihm nun nicht mehr aus den Augen.
Daraufhin nickte Algha bloß schweigend. Ihr ging der Tod der Schreitenden ebenfalls nahe. Sie setzte gerade an, Rayl zu trösten – als sie ihren Funken nicht mehr spürte. Entgeistert richtete sie sich kerzengerade auf dem Stuhl auf. Im ersten Moment meinte sie, sich zu täuschen. Das konnte doch einfach nicht sein! Ein verstohlener Blick, den Rayl auf jemand hinter ihr warf, ließ sie indes herumfahren. Mit einem Schrei wollte sie aufspringen, doch kräftige Hände legten sich ihr auf die Schultern und drückten sie auf den Stuhl zurück.
»Ganz ruhig, du Gans, kein Grund zur Panik«, verlangte der zerzauste Kerl, der von einer Sekunde zur anderen seine ganze Servilität aufgegeben hatte und sich nun eines groben Tons bediente. »Und rühr dich ja nicht.«
»Etwas freundlicher mit der Dame, Axt«, sagte der Mann mit der Narbe an der Unterlippe leise. Seinen Bewegungen haftete etwas Schwerfälliges an, als leide er unter einer Wunde.
»Selbstverständlich, Herr Dawy, natürlich.«
»Das war hervorragend ausgetüftelt, Meister Rayl. Auch wenn ich, offen gestanden, vorübergehend befürchtet habe, Ihr wolltet uns hinters Licht führen.«
»Es hat halt seine Zeit gebraucht, bis ihr Funken so weit geschwächt war, wie Ihr es verlangt habt.«
»Davon habe ich mich bereits überzeugt. Die Eisskulpturen … Wirklich ein kluger Zug von Euch, mit dem Ihr selbst mich verblüfft habt. Guten Abend, Herrin Algha.«
Erstaunt begriff die Schreitende, dass sich ihrer nicht Angst, sondern einzig Wut bemächtigte.
»Rayl! Wie konntest du nur?!«, fragte sie mit schlecht unterdrücktem Zorn, während sie gleichzeitig versuchte, die Wand niederzureißen, die sie von ihrem Funken trennte. »Noch vor Kurzem hast du mir in der Burg geholfen, diesen Kerl anzugreifen. Was hat er dir versprochen, damit du die Seiten wechselst?«
»Das spielt überhaupt keine Rolle«, erklärte er und blickte ihr unverwandt in die Augen. Dann wandte er sich dem Nekromanten zu. »Sind wir jetzt quitt?«
»O ja«, antwortete Herr Dawy und nickte dem hinter Rayl stehenden Alten zu.
Algha bekam die Bewegung von Krächz’ Hand gar nicht mit. Es blitzte lediglich mit einem Mal Stahl in ihr auf. Im ersten Schreck verstand Algha selbst das nicht, sondern beobachtete nur fassungslos, wie Rayl die Augen aus den Höhlen traten, wie sein Funken kurz hell aufflammte – und dann vollständig erlosch.
Ein schmaler roter Faden rann über Rayls Hals, schwoll an und platzte. Blut spritzte durch den Raum. Algha schrie auf, stemmte sich mit den Füßen gegen das Tischbein und drückte sich mit aller Kraft nach hinten. Das Ganze ging so schnell, dass Axt ihren Fall nicht verhindern konnte. Obwohl sie krachend auf dem Rücken landete, achtete sie nicht auf den Schmerz, sondern trat Axt mit aller Kraft vors rechte Knie. Der knallte schreiend neben ihr zu Boden. Algha drehte sich auf den Bauch, sprang auf, stürzte zur Tür – schaffte es aber nicht zu fliehen.
Unbarmherzige Finger gruben sich ihr ins Haar, zerrten sie zurück, wirbelten sie herum und verabreichten ihr eine derart heftige Ohrfeige, dass ihr schwarz vor Augen wurde.
»Es reicht, Krächz!«, warnte der Nekromant den Alten. »Reiß dich gefälligst zusammen.«
»Wie Ihr befehlt, Herr Dawy. Aber ich warne Euch: Ihr habt Euch da ein ziemlich aufmüpfiges Weibsstück eingefangen.«
Algha versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken, und sah den Nekromanten voller Hass an.
»Ich bringe dich um, du Tier!«, zischte sie.
»Nicht auszuschließen«, erwiderte dieser kalt, ehe er sich wieder dem Alten zuwandte. »Fessle sie! Und lass sie nicht aus den Augen! Axt! Statt rumzujammern, solltest du lieber die Leiche fortschaffen. Und spann die Pferde vor die Kutsche! Wir haben uns hier eh schon viel zu lange
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