Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
aufgehalten.«
Kapitel
7
Als Ness Thia erzählte, wo sie waren, hatte sie für ihr vorübergehendes Zuhause nur ein Wort übrig: Loch. Wie anders sollte man sonst einen Haufen Steine an irgendeinem namenlosen Pass nennen? Der eingeschneit war und sich im festen Griff des Eises befand, der nach Mäusedreck und verfaulten Eiern stank.
»Jedenfalls bist du noch immer ganz die Alte«, stellte Ness fest, als die Verdammte Typhus ihre Tirade beendet hatte.
»Weshalb hätte ich mich verändern sollen?«, blaffte sie. »An diesem Ort besteht wirklich kein Grund dazu. Das Einzige, was du hier möchtest, ist, Hand an dich zu legen. Nicht mal in der Großen Wüste hinter Sakhal-Neful findest du derart elende Orte.«
»Du solltest lieber dem Reich der Tiefe danken, dass du hier bist. Dieses Loch ist nämlich weit besser als ein Winterlager in einem Zelt aus Tannenzweigen oder in einer Schneewehe!«
»Stimmt ja«, murmelte Typhus, um dann empört auszurufen: »Was soll das überhaupt heißen?
Winterlager?
«
»Genau das, was alle darunter verstehen. Wir stecken hier bis zum Frühjahr fest, denn vorher werden wir nicht durch die Berge kommen. Gewöhne dich also besser an dieses
Loch
!
«
Bei dieser Eröffnung sank Typhus der Mut.
»Du bist ja mit einem Mal so still«, stichelte Ness.
»Möchtest du lieber hören, dass ich dich einen törichten Narren schimpfe?«, fauchte sie. »Beim Reich der Tiefe, diese Kopfschmerzen rauben mir noch den Verstand! Wo ist dieser nichtsnutzige Heiler eigentlich, wenn man ihn braucht?! Wobei: Helfen kann er mir ja doch nicht! Er ist und bleibt ein talentloser Kerl! Eher bringe ich noch einem Eichhörnchen einen Zauber bei als ihm.«
Das Gejammere hätte sie sich durchaus sparen können, denn Shen hatte ihre Schmerzen durchaus zu lindern vermocht. Trotzdem setzten ihr noch zwei Wochen Migräne zu.
Typhus selbst hatte jede Erinnerung an ihren Unfall verloren, aber sie wusste aus den Berichten der anderen, dass das Reich der Tiefe in jener Minute seine schützende Hand über sie gehalten haben musste.
Der Schädel des Dorftrottels hatte sich als erstaunlich hart erwiesen. Jeder andere wäre – nachdem er Bekanntschaft mit einem solchen Stein geschlossen hatte – auf der Stelle tot gewesen.
»Danke hättest du mir ruhig mal sagen können«, knurrte Shen, der ihre Worte gehört hatte und nun auf sie zukam, wobei er die purpurrote Kette, die er von Ness geliehen hatte, durch seine Finger gleiten ließ.
»Niemand schmälert deine Verdienste!«, beruhigte ihn Typhus. »Du bist zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Was mich noch interessieren würde, ist, warum du dich dazu durchgerungen hast, mir das Leben zu retten?«
»Aus reiner Seelengüte«, nuschelte Shen. »Inzwischen bedauere ich allerdings längst, dass ich mich zu diesem Schritt habe hinreißen lassen.«
»Das glaube ich dir unbesehen«, erwiderte Thia ernst. »Mir erginge es nicht anders.«
Danach kam keiner von beiden je wieder auf dieses Thema zu sprechen.
Die langen Tage der Bewusstlosigkeit hatten Thia entsetzlich geschwächt, sodass sie ihr Lager nur selten verließ. Das hinderte sie jedoch nicht daran, ununterbrochen zu zetern und zu schimpfen. Nach einer Weile ging sie dazu über, sich einen großen Teil der Zeit oben auf dem Turm aufzuhalten, den Blick auf die verhassten Berge gerichtet und jede einzelne Schneeflocke zählend. Es war der längste Winter in ihrem Leben, und zuweilen, vor allem in der Dämmerung, meinte sie, er würde nie enden. Dann war sie sicher, die gesamte Welt werde für immer unter der schweren Schneeschicht begraben werden, die nie mehr schmölze.
Die Verpflegung ließ ebenfalls zu wünschen übrig. Thia kannte kein ekelhafteres Fleisch als das vom Pferd. Jeden Bissen zwang sie hinunter. Luk, der es im Unterschied zu ihr gierig in sich hineinstopfte, wagte es eines Abends, sie zu fragen, warum sie ihre Portion kaum anrühre. Daraufhin bedachte ihn Thia mit einem so giftigen Blick, dass er prompt verstummte.
Als ihr der Weg zwischen Nachtlager und Turmspitze irgendwann zum Hals heraushing, beschloss sie, die Burg näher zu erkunden. Dabei stieß sie zufällig auf jenen Schatz, der im Keller versteckt war. Beim Anblick der heißen Becken geriet sie derart in Verzückung, dass ihr nicht einmal der Winter länger grausig vorkam. Mit dieser Einrichtung vergingen die Tage wesentlich schneller. Sie meinte, kaum mit der Wimper gezuckt zu haben, da war auch schon ein ganzer Monat ins Land gezogen
Weitere Kostenlose Bücher