Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)

man einen falschen Schritt.
    Wir befanden uns in einer Höhe, die uns allen schwer zusetzte. Die ganze Zeit über rangen wir nach Atem, alle zehn Minuten mussten wir anhalten, um wieder zu Kräften zu kommen.
    Der Pfad – wie auch immer er überhaupt an diesem Hang entstanden sein mochte – war nur wenige Schritt breit und mit Eis überzogen. Er würde sich für jeden Fehler rächen. Auch unser Nachtlager mussten wir auf ihm aufschlagen. Othor bat Meloth mit einem, wie ich fand, recht zynischen Gebet, er möge doch bitte ein Auge darauf haben, dass während der Nacht niemand in diesem Abgrund landete. Immerhin schien der Gott ihn gehört zu haben, denn am nächsten Morgen waren wir noch alle vollzählig.
    An diesem Tag bildete ich den Abschluss, lief ein Stück hinter Typhus und Shen, die etwas zurückgeblieben waren und leise miteinander sprachen. Als Shen anfing, wild zu gestikulieren, schloss ich zu ihnen auf, um zu lauschen. Natürlich stritten sie mal wieder.
    »Was ist denn in euch gefahren?«, fragte ich.
    »Dieser gute Junge verlangt nach Wissen, Kraft und Macht«, antwortete Typhus, ohne sich zu mir zurückzudrehen, und wischte sich mit dem Ärmel die tropfende Nase ab. »Ein lobenswerter Wunsch, den ich nur unterstützen kann. Allerdings sollte man wissen, wie ein Schwert überhaupt aussieht, bevor man es zu ergreifen beabsichtigt.«
    »Ich habe dich doch nur darum gebeten, mir den Zauber für das Silberfenster beizubringen!«
    »Mit wem willst du denn reden, kannst du mir das bitte mal verraten?! Es dürfte wohl kaum jemand von denen, die ihr nur als Verdammte bezeichnet, bereit sein, seine Zeit in einem Gespräch mit dir zu vergeuden.«
    »Kann man denn wirklich nur mit ihnen sprechen?«
    »Leider ja. Eine Verbindung lässt sich nur zwischen uns herstellen.«
    »Warum?«
    »Darum.«
    »Aber ich könnte mich doch mit Rona in Verbindung setzen.«
    »Das kannst du auch ohne das Silberfenster«, erklärte sie, nieste laut und lauschte mit mürrischer Miene dem Echo.
    »Aber …«
    »Shen, sei so gut und gib Ruhe. Ich kann dir diesen Zauber nicht beibringen, solange du die Grundlagen der Geflechte nicht beherrschst und jedes Mal solche Augen machst, wenn dir auch nur die kleinste Kleinigkeit gelingt«, sagte Typhus ruhig. »Gut bist du zurzeit nur, wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst. Lass uns also am Ende des Jahres auf diese Frage zurückkommen.«
    »Hast du die Absicht, noch so lange zu leben?«, höhnte er.
    »Ich habe sogar die Absicht, ewig zu leben«, antwortete sie kalt. »Denn ich habe noch grandiose Pläne.«
    »Willst du vielleicht eine graue Schule aufbauen?«, stichelte Shen.
    »Unter anderem.«
    »Irgendwie verstehe ich euch alle nicht«, meinte Shen nun. »Ihr Verdammte wirkt nicht wie Dummköpfe. Warum habt ihr dann diesen Krieg angefangen? Und warum erst jetzt? In den letzten Jahrhunderten hättet ihr doch nach Belieben schalten und walten können. Warum habt ihr da nicht einfach eine graue Schule in Sdiss aufgebaut?«
    »Das haben wir versucht«, antwortete sie und seufzte. »Das kannst du mir glauben. Anfangs haben wir Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Möglichkeiten ausprobiert. Aber keine von ihnen hat uns unserem Ziel näher gebracht. Sdiss ist ein anderes Land, ein anderes Volk. Sie kommen mit dem dunklen Funken besser zurecht als mit dem lichten. Und es ist uns leider nicht gelungen, daran etwas zu ändern. Die Sdisser können nicht
grau
werden. Sie nehmen nur einen Tropfen Licht in sich auf, der sich im Meer ihres Dunkels aber völlig auflöst.«
    »Aber warum das?«
    »Solltest du das je herausfinden, lass es mich wissen. Mich würde die Antwort nämlich ebenfalls interessieren.«
    »Aber ihr müsst doch irgendwelche Vermutungen haben!«
    »Müssen wir das?!«, schnaubte sie, um dann aber doch fortzufahren: »Angeblich haben früher alle echten Magier im Westlichen Kontinent gelebt. Nachdem er untergegangen ist, gründeten ihre Nachfahren das Imperium. Deshalb findest du nur hier geeignete Funkenträger, die du ordentlich ausbilden kannst. In anderen Ländern ist auch nie ein Heiler oder eine Heilerin geboren worden.«
    »Was ist mit den Nabatorern?«
    »Die sind ein Fall für sich und taugen nichts. Von denen wird niemand je über die Anfänge hinauskommen. Das Gleiche gilt für die Menschen in Syn und der Goldenen Mark. In Urs ist nur der dunkle Funken verbreitet, genau wie in Sdiss. In Grohan sind die Menschen völlig unempfänglich für Magie, in Morassien haben wir