Sturm im Elfenland
Blick blieb besorgt.
»Seherin?«, fragte Alana verdutzt. Ivaylo blickte erstaunt drein, das schien auch ihm neu zu sein.
Sverre schüttelte den Kopf. »Unwichtig. Erinnerst du dich denn noch an den Spiegel?«
Ein Bild blitzte auf. Ein silberner Spiegel, ein Mädchengesicht, etwas, das die Spiegelfläche verdeckte. Ihr Sternenstein, der sich dennoch darin spiegelte. Alana nickte zögernd.
»Gut.« Der Zwerg schien erleichtert. »Dann wollen wir gleich dort weitermachen. Heute versuchen wir es ohne das Wachs. Die Verbindung wird dadurch enger, aber auch deutlicher.« Er legte ein flaches, in ein Tuch eingeschlagenes Paket auf den Tisch. Alana lief eine Gänsehaut über den Rücken. Sie wusste nicht, warum.
»Schau hinein«, sagte der Zwerg. Ivaylo machte eine Bewegung, als wollte er sie davon abhalten, aber dann ließ er sich auf die Bank zurücksinken, umklammerte seinen Becher und sah schweigend zu, wie Alana das Tuch auseinanderschlug.
Sie betrachtete den Spiegel und bemerkte, dass sie ihn nur mit Widerwillen in die Hände nehmen konnte. Sverre beugte sich vor und murmelte beruhigend: »Es wird dir nichts geschehen. Nichts von dem, was du siehst, kann dich verletzen. Es ist nicht wirklich. Noch nicht.«
Alana atmete seufzend ein und beugte sich über den Spiegel. Ihr Sternenstein rutschte aus ihrem Ausschnitt und baumelte über der reflektierenden Fläche.
Sie schaute in ihre besorgt dreinblickenden Augen und musste trotz aller Anspannung lächeln. Das war doch nur ein Spiegel, weiter nichts.
Schatten zogen über ihr Spiegelbild und nahmen es mit. Einen Moment lang konnte Alana nicht erkennen, was sie sah. Seltsame, hoch aufragende Säulen und ein unruhig gemusterter Fußboden – nein, das war kein Saal. Es war ein Wald. Licht fiel schräg durch die Stämme der Bäume. Sie sah eine Bewegung zwischen ihnen, und dann tauchte ein kleines Pferd auf, das von zwei Jungen geritten wurde. Der eine, der hinten saß, war Ivaylo. Obwohl er viel jünger war als der Ivaylo, der nun neben ihr saß, erkannte sie sein rabenschwarzes Haar und die hellen Augen. Er lachte und hielt sich an seinem Vordermann fest.
Der war kein Elf, erkannte sie überrascht. Der Junge hatte ein dreieckiges Gesicht mit großen, dunklen Augen und eine wilde, braune Lockenmähne, die ihm lang und ungebärdig über die Schultern fiel. Sein Oberkörper war nackt und tief gebräunt.
Alana musste blinzeln, weil ihre Augen zu tränen begannen. Wie seltsam, wo waren seine Beine? Sie konnte Ivaylos helle, dünne Beine sehen, die sich an den Bauch des kleinen Pferdes drückten. Aber wo war das andere Beinpaar, das des fremden Jungen? Irgendetwas schien mit dem Bild nicht zu stimmen, auch das Pferd war nicht vollständig zu sehen. Sie konnte weder seinen Nacken noch seinen Kopf erkennen.
Das Bild begann auf Übelkeit erregende Weise zu schwanken und sich zu drehen.
Alana musste die Augen schließen. Als sie sie wieder öffnete, war ein anderes Bild erschienen, das sie voller Faszination anschaute. Ihre Mutter stand dort, halb abgewendet, sodass Alana nur ein Stück von ihrem Profil sehen konnte, mit einem Elf, der ihr unbekannt war. Die beiden sprachen miteinander und Daina schien aufgeregt oder ärgerlich zu sein. Ihre Hände bewegten sich auf diese temperamentvolle Weise, die Alana nur allzu vertraut war.
Jetzt legte der fremde Elf Daina begütigend seine Hände auf die Schultern. Sein Gesicht wandte sich ins Licht und Alana schrie leise auf. Wieder war es Ivaylo, aber dieses Mal war er erwachsen. Sie sah nachtschwarzes Haar und minzgrüne Augen in einem scharf geschnittenen Männergesicht.
Minzgrün? »Das ist Farran«, sagte sie laut. »Und die Frau ist gar nicht meine Mutter. Das muss Tante Audra sein!«
Jemand war neben ihr und drängte sie zur Seite. Sie protestierte und dann wurde ihr schrecklich schwindelig. Alana stöhnte und legte den Kopf in die Hände.
»Junge, so etwas darfst du nie, niemals, nie und nimmer machen«, sagte Sverre scharf. »Damit kannst du Alana Schaden zufügen. Wenn sie zu tief in die Spiegelbilder versunken ist und die Verbindung gewaltsam reißt, kann es sein, dass ihr Geist den Weg zurück nicht mehr findet.« Während er sprach, war er an Alanas Seite geeilt und hatte seine Hände auf ihren Kopf gelegt. »Kannst du mich hören?«, fragte er.
Alana nickte schwach. »Tee, bitte«, murmelte sie. Ihr brummte der Schädel, als hätte sie eine kräftige Ohrfeige abbekommen.
Sverre hielt ihr schweigend den Becher
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