Sturm im Elfenland
den Tiefen des verdeckten Spiegels bewegte sich etwas.
Alana hielt den Atem an und beugte sich noch tiefer über den Spiegel. Der Sternenstein schimmerte im diffusen Licht, das durch die Fensteröffnung fiel, und die silbernen Fäden in seinem Inneren glänzten wie kleine Sterne. Dahinter, es bewegte sich dahinter. Was war es?
Rot, es schimmerte rot. Es war keine fröhliche Farbe, wie Garnets Haar oder Alanas liebstes Samtbändchen, sondern ein düster glühendes, schwärzlich drohendes Rot. Alana musste bei seinem Anblick an Blut, Tod und Gewalt denken und auf ihre Zunge legte sich ein schwerer, gleichzeitig rauchiger und süßer Brandgeruch. Sie schluckte, weil ihr übel wurde. Am liebsten hätte sie den Blick abgewendet, aber etwas zwang sie, weiter hinzuschauen, sich schärfer auf das zu konzentrieren, was sie so verschwommen und unangenehm wahrnahm.
Alana beugte sich noch tiefer. Der wächserne Schleier, der über dem Spiegelglas lag, begann durchsichtig zu werden und verschwand.
Blut oder Feuer? Das düstere Rot, das sie als Erstes gesehen hatte, entpuppte sich als ein großer Mann in einem festlichen, dunkelroten Gewand. Er trug enge Kniehosen, Seidenstrümpfe und ein altertümlich geschnittenes Wams, dazu einen weiten Samtmantel, der mit schwarzen und goldenen Borten besetzt war. Sein Gesicht bedeckte eine rotgoldene Maske mit Vogelschnabel und Juwelenaugen, von der ein Kopfputz aus langen, schwarz und rot schillernden Federn herabhing.
Ein zweiter Maskenträger tauchte an seiner Seite auf, der von Kopf bis Fuß in düsteres Schwarz und eisiges Weiß gewandet war. Seine Maske stellte eine Katze dar. Er schien mit dem Mann in Rot zu streiten oder ihn zu bedrohen. Der Rote machte eine herrische Bewegung mit der Hand, zwei gesichtslose Schemen packten den Mann in Schwarz und zerrten ihn davon. Der Rote wandte sich ab und ging von dannen.
Alana erhaschte einen Blick auf einen festlich geschmückten Saal, der im Glanz unzähliger Kerzen erstrahlte. Kostümierte Gestalten drehten sich zu einer unhörbaren Musik. Alana kannte diesen Saal! »Das Winterjahrfest«, flüsterte sie.
Und dann wurde mit einem Schlag die fröhliche Szenerie in Blut und Feuer getaucht. Der Vogelmann in Rot wand sich in Todesqualen und sein Blut strömte über den Boden des Festsaals. Alana schrie auf und wich zurück. Die Verbindung mit dem Spiegel riss mit einem schmerzhaften Schlag ab, das Bild erlosch.
Jemand packte sie bei den Armen, sie schrie wieder und wollte sich losreißen, aber die Hände, die sie festhielten, waren zu stark.
»Alana«, hörte sie durch das Rauschen in ihren Ohren eine Stimme sagen. Geduldig. Sanft. »Alana. Du bist in Sicherheit.«
Der blutig rote Nebel, der ihre Sicht verschleierte, hob sich. Sie blickte in die besorgten Augen des Zwerges. »Böse«, sagte sie mit schwerer Zunge. Dann wurde die Übelkeit zu stark, sie beugte sich vor und erbrach sich neben Sverres Stiefel.
Als Alana erwachte, war es dunkel und still um sie. Sie streckte sich und fühlte ein ungewohnt dünnes Laken über ihre Beine gleiten. Kein Lichtschimmer erhellte ihre Umgebung. Sie tastete vergebens nach dem Feenlicht, das immer neben ihrem Bett auf dem Boden stand.
Mit einem Laut des Unmuts erhob sie sich und stellte die Füße auf den Boden. »Uh«, machte sie und zog sie erschreckt wieder aufs Bett. Ihre Zehen hatten einen kühlen Holzboden berührt, nicht den erwarteten weichen Teppich.
»Das ist nicht mein Zimmer«, sagte sie laut und empört.
Etwas raschelte, eine Stimme murmelte: »Alana?«
Dann glomm ein Licht auf und beleuchtete ein verschlafenes Gesicht unter einem strubbeligen schwarzen Schopf. Es gehörte Ivaylo, der in einem Lehnsessel gekauert hatte und sich nun ächzend aus seiner Umarmung wand.
»Geht es dir wieder gut?« Er hockte sich neben ihr Bett. Alana sah sich verwirrt um. »Wo ...? Das ist das Fuchszimmer! Ich liege ja in deinem Bett!«
»Ich wollte dich nicht nach oben in dein Zimmer tragen«, entgegnete Ivaylo. »Ich war heilfroh, dass wir niemandem begegnet sind.« Seine Miene war besorgt. »Geht es dir wirklich wieder gut? Ich wollte ja deine Mutter holen, aber Sverre hat es mir verboten.« Seine Brauen zogen sich finster zusammen. »Er kann ganz schön bestimmend sein.«
Alana zog die Knie an die Brust und legte die Stirn darauf. Sie konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. Sie hatte mit Garnet über den Markt gesprochen und dass sie ein Kästchen für ihr Schreibzeug brauchte. Was war
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