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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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versucht, daraus Kapital zu schlagen.«
    Jan nickte. »Allerdings, genau so war es. Jede Religionsgemeinschaft behauptete, der einzig wahre Gott hätte diesen wütenden Sturm zur Erde geschickt, um die Anhänger der jeweils anderen Konfession zu bestrafen. Jede Seite versuchte, die Urgewalt durch Gebete oder Beschwörungen von Neuem zu entfachen, damit sie die feindlichen Heere und Festungsanlagen zerschmetterte.«
    »Was für ein Wahnsinn«, murmelte Kinah.
    »Ein Wahnsinn, der Tradition hat«, ergänzte Jan. »Nur, dass selbst die größten Kriegstreiber anfingen, kriegsmüde zu werden – schließlich hätten die Mächtigen bald niemanden mehr gehabt, den sie hätten beherrschen und auspressen können. Also schloss man den Westfälischen Frieden und einigte sich auf eine Neuordnung der Konfessionen und der Staatensouveränität. Und in Geheimverhandlungen kam man überein, dass keine Seite mehr für sich in Anspruch nehmen durfte, Gott habe den Sturm gesandt, um die Andersgläubigen zu bestrafen. Die Beteiligten hielten es für die geeignete Strategie, den großen Sturm selbst aus der Geschichte der Menschheit zu streichen oder, falls das nicht ganz gelänge, ihn allenfalls als lokales Phänomen zu deuten. Also wurden alle Aufzeichnungen über die Katastrophe, deren man habhaft werden konnte, vernichtet, und jene Menschen, die zu laut irgendwelchen Hirngespinsten über den großen Sturm nachhingen, umgesiedelt oder anderweitig zum Schweigen gebracht.«
    »Eine Vorgehensweise, die Menschen wie Stalin später perfektioniert haben«, sagte Kinah bitter.
    »Nicht nur Menschen vom Kaliber Stalins.« Jans Hand schwebte über der Computertastatur. »Obwohl Stalin ein gutes Stichwort ist. Russen wie Amerikaner fingen seinerzeit an, ernsthaft über Wetterwaffen nachzudenken und entsprechende Experimente anzustellen, wie zum Beispiel mit einem elektromagnetischen Generator.« Er drückte schnell ein paar Tasten. »Warte, ich zeige dir …«
    »Wie Flugzeuge Regenwolken zum Abregnen bringen? Wie stationäre Apparaturen Blitze umlenken oder Windhosen erzeugen?« Kinah winkte ab. »Darüber hast du mir bereits genug erzählt, als ich vor einem Vierteljahr zum ersten Mal in deinem Institut war.«
    Jan ließ die Hand enttäuscht sinken. »Aber ich habe dir nicht gesagt, dass das alles bereits zu Wallensteins Zeit begann. Der große Sturm, der fünf Tage und fünf Nächte über weite Teile Deutschlands fegte, weckte in den Menschen das Verlangen, sich auf fürchterliche Weise ihrer Feinde zu entledigen. Es war schon immer ein Menschheitstraum, mit Hilfe himmlischer Mächte Sturm, Blitz und Donner gegen Feinde zu lenken, um sie vernichtend zu schlagen. Davon berichten Legenden und Mythen aus allen Ländern und Regionen, angefangen von der sumerischen Darstellung dessen, was später in der Bibel als Sintflut bezeichnet wird, bis hin zu den nordischen Sagen, in denen die Götter die Urgewalten Islands nutzen, um ihre Feinde zu zerschmettern.«
    »Ja, auch wir kennen solche Geschichten«, sagte Kinah. »Zum Beispiel die des Sturm- und Regengottes Lezas, der auf dem Rücken aller Menschen sitzt, sodass ihm niemand entkommen kann. Aber was hat das mit dem Dreißigjährigen Krieg zu tun?«
    »Es hat damit zu tun, dass eine neue Zeit anbrach.« Jan rückte umständlich seine Brille zurecht. »Jahrtausendelang hatten die Menschen mit dem Schwert gegeneinander gekämpft, und die fürchterlichste Waffe waren riesige Katapulte gewesen, mit denen man Felsbrocken schleudern konnte. Doch nun gab es Schusswaffen, die neue Strategien erforderten, Kanonen, die viel schneller als die schwerfälligen Katapulte in Stellung gebracht werden konnten, Musketen, mit denen man sogar gepanzerte Gegner in vollem Galopp vom Pferd holen konnte, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Das schuf neue Begehrlichkeiten und eine neue Form des Denkens. Die Ritterzeit war endgültig vorbei, das Zeitalter der Wissenschaft begann. Die Kunde vom Wetter und seiner Beeinflussung wurde plötzlich zu einer Geheimwissenschaft erkoren. Alchemisten, deren wichtigstes Ziel seit dem frühen Mittelalter die Herstellung von Gold gewesen war, befassten sich auf einmal mit der für Heerführer verlockenden Vorstellung, das Wetter zu manipulieren und tödliche Gewitterstürme über den Feinden ihrer Herren zu entfesseln.«
    Kinah verzog ungläubig das Gesicht. »Du bist der Meinung, der große Sturm im Dreißigjährigen Krieg war das Werk von Alchemisten?«
    Jan schüttelte

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