Sturm: Roman (German Edition)
bedenkenlos Himmelfahrtskommandos hinter feindliche Linien oder hetzen die eigenen Soldaten in einen Atompilz hinein, wie es die Briten taten.«
Kinahs Finger strichen sanft über das Papier, über eine Zeichnung, die zeigte, wie Blitze in ein Heerlager fuhren und Feuer aus dem mit einer Fahne geschmückten Zelt des Kommandanten schlug. Jan hatte recht. In ihrer Heimat war es üblich gewesen, dass Schamanen vor einer kriegerischen Auseinandersetzung die Götter um Beistand anflehten, wobei sie häufig für die eigene Seite um günstiges Wetter baten, für die Gegner jedoch um Blitz und Donner. Immer wieder hatten Stammesführer bedenkenlos die eigenen Krieger geopfert, wenn sie sich daraus einen Vorteil erhofften. Und die Gemeinschaft hatte dies anschließend auch noch mit blumigen Heldengesängen verklärt.
»Warum kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren«, sagte Kinah langsam und betonte dabei jedes einzelne Wort, »dass du mit all dem auf etwas ganz Bestimmtes hinauswillst?«
Jan grinste jungenhaft. »Vielleicht, weil es genau so ist.« Dann wurde er schlagartig wieder ernst. »Wir sind in Gefahr, Kinah, darauf will ich hinaus.«
»In Gefahr? Weil du alte Bücher sammelst und mit Hologrammen herumspielst? Weil ich das Wissen unserer Ahnen und neue Erkenntnisse miteinander verbinde?« Kinah winkte ab. »Mach dich nicht lächerlich!«
»Genau darum sind wir in Gefahr«, wiederholte Jan mit Nachdruck. »Nicht nur wegen dem, womit sich jeder von uns beschäftigt, sondern in erster Linie, weil wir uns zusammengetan haben.«
Kinah biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste, was ihr Vater ihr aufgetragen hatte. Es ist das, was ihr euch herbeigewünscht habt: ein Wind, der eine schmerzliche Strafe mitführt. Und deine Aufgabe und die der deinen wird es sein, dafür zu sorgen, dass diese Strafe nicht zu schmerzlich ausfällt. Suche dir dazu Verbündete in der neuen Welt. Vereint euer Wissen, um den Gewalten zu trotzen, die die Welt auseinanderreißen wollen.
»Verdammt noch mal, Jan!« Kinah schrie es fast. »Rede doch nicht immer um den heißen Brei herum! Was ist los? Weshalb hast du mich so kurzfristig kommen lassen? Ich dachte schon, du wärst über alle Berge, nachdem man dich aus dem Institut geschmissen hat!«
»Ich bin nicht über alle Berge, sondern in meinem Keller«, sagte Jan. »Er hat noch einen zweiten Zugang, von dem außer mir niemand weiß. So konnte ich ihn betreten, ohne gesehen zu werden. Und das war mir sehr wichtig.«
»Warum?«
»Weil ich untertauchen musste«, antwortete Jan. »Ich bin nämlich sicher, dass mein Haus wochenlang beobachtet wurde. Mittlerweile haben sie es wohl aufgegeben. Aber ich war trotzdem vorsichtig, bevor ich mich dir zu erkennen gegeben habe.«
»Deswegen hast du dich also angeschlichen!«
Jan nickte knapp und tat das, worauf er die ganze Zeit über gewartet zu haben schien: Er senkte seine Finger auf die Tastatur und gab eine kurze Befehlsfolge ein.
Wieder flirrte und flackerte es vor ihm in der Luft, und dann war ein Mann zu sehen, der den Kragen seines schweren Mantels hochschlug und mit schnellen Schritten auf eine schwere, sechstürige Limousine zusteuerte. Er hatte herbe, aber nicht hässliche südländische Gesichtszüge. Seine Augen wurden von einer Sonnenbrille verborgen.
»Das ist er«, sagte Jan. »Der Mann, der hinter uns her ist. Der Jäger.«
Jetzt erkannte Kinah, dass sie sich getäuscht hatte. Der Mann war kein Italiener oder Spanier, sondern eindeutig arabischer Herkunft. Ihre Neugier war geweckt. »Warum …«, begann sie.
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Eine der getönten Scheiben der Stretchlimousine senkte sich. Ein graugesichtiger Mittvierziger kam zum Vorschein, der den Jäger stirnrunzelnd und eindeutig verärgert anstarrte. Er rief ihm ein paar Worte zu, die Kinah nicht verstand.
Der Jäger nickte, blieb vor der Limousine stehen und griff in seine Manteltasche.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Hinter der Limousine funkelte etwas – ein Gewehrlauf, auf dem sich Sonnenlicht spiegelte, und Kinah erkannte schemenhaft einen Mann, der sich aus der Deckung des Wagens aufrichtete und sein Opfer anvisierte. Der Jäger sprang zur Seite und zog gleichzeitig eine Pistole aus der Manteltasche.
Aus der Gewehrmündung blitzte Feuer, noch bevor der Jäger seine Waffe ganz hochgebracht hatte. Doch der Schuss verfehlte ihn und schlug funkensprühend hinter ihm in den Asphalt. Dafür erwischte er den Attentäter mit der Pistole, traf ihn
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