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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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durch.
    Die Motoren der Lisunov wühlten sich durch die immer dunkler werdenden, mittlerweile fast schwarzen Wirbel, und ihre Geräusche ließen darauf schließen, dass Jurij vollen Schub gegeben hatte – obwohl sich selbst in Dirks beschränktem Blickfeld schroffe Felsformationen abzeichneten, auf die sie geradewegs zuhielten.
    »Mann!«, schrie Kinah. »Zieh die Kiste wieder hoch!«
    Jurij dachte nicht daran, im Gegenteil. Er kippte die Lisunov noch weiter nach links Dirk konnte sich nicht mehr halten und rutschte in dieselbe Richtung. Mit einem dumpfen Geräusch klatschte er gegen die Wand und verlor die Orientierung. Als er begriff, dass er auf der Seite lag, weil Jurij die Maschine um neunzig Grad gedreht hatte und sich nun die linke Tragfläche dort befand, wo eigentlich der Bauch des Flugzeugs sein sollte, stieg Übelkeit in ihm hoch.
    »Was tust du da?« Kinahs Stimme klang panisch. »Wir werden an den Felsen zerschellen!«
    »Nein, werden wir nicht«, widersprach Jurij heftig. »Und jetzt Ruhe! Ich kann keine hysterischen Weiber in meinem Cockpit gebrauchen!«
    Hysterische Weiber? Hatte dieser Kamikazepilot einen Sprung in der Schüssel? Man musste weder hysterisch noch eine Frau sein, um angesichts seines schwachsinnigen Flugmanövers in Panik zu geraten. Dirk hatte schon immer Angst davor gehabt, bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, egal, ob er einen entsprechenden Bericht in den Nachrichten gesehen hatte oder in die Nähe eines Flughafens gekommen war. Aber er hätte nie gedacht, dass ihn einmal ein Wodka saufender Pilot, dessen Verfallsdatum genau wie das seiner Maschine längst abgelaufen war, bei der missratenen Parodie eines Kunstflugs ins Verderben stürzen würde.
    Der Motor unter Dirk begann zu stottern, und die Lisunov kippelte hin und her, als hätte auch sie Wodka getankt.
    »Halt durch!«, brüllte Jurij, dann folgte etwas auf Russisch, das ein Fluch sein konnte oder ein Ansporn für sich selbst und seine Maschine.
    Dirks Kopf knallte mehrmals gegen die Metallwand, und er versuchte verzweifelt, die Schulter zu drehen und sich mit der rechten Hand festzuhalten. Alles, was er aus seiner Position sehen konnte, war Jurij, der in seinem Ledersitz hing, darüber Kinah, die sich gottlob noch rechtzeitig festgeschnallt hatte, und durch das nächste Seitenfenster bedrohlich schwarze Felsen.
    »Das ist zu schmal.« Auch Kinah starrte nach draußen. »Du reißt uns die Tragfläche weg! Da kommst du niemals durch!«
    »Dummerweise hat mein Mädchen keinen Rückwärtsgang«, erwiderte Jurij. »Entweder vorwärts oder gar nicht.«
    Die Formulierung beruhigte Dirk nicht gerade, genauso wenig wie das ungesunde Stottern unter ihm, das eindeutig schlimmer geworden war. Er richtete sich so weit wie möglich auf und versuchte, am Pilotensitz vorbei durch die Frontscheibe zu blicken.
    Es gelang ihm nicht. Er sah nur die Rückenlehne des Sitzes und darüber Jurijs Kopf, der inzwischen in einer ledernen Fliegerhaube von der Art steckte, wie sie auch der Rote Baron getragen haben mochte. Wahrscheinlich hatte er sie aufgesetzt, nachdem er die Maschine zum Abkippen gebracht hatte. Wofür hielt sich der alte Narr? Für einen Doppeldeckerpiloten bei einer Flugschau?
    »Jetzt … gleich …« Jurij griff nach einem der Hebel und zog daran.
    Das Motorengeräusch unter Dirk veränderte sich abermals, stabilisierte sich, wurde zu einem satten Dröhnen und vereinte sich mit den Klängen des Steuerbordmotors zu einer kraftvollen Sinfonie. Das Schütteln und Wackeln ließ nach, und Dirk wollte schon aufatmen …
    … als hinter ihm ein ohrenbetäubendes Hämmern begann.
    Das Maschinengewehr! Der fürchterliche Lärm erschütterte Dirk bis ins Mark und zerhackte seine Gedanken in kleine, panikerfüllte Fetzen. Akuyi! Wenn sie an Bord des Hubschraubers war …
    Er stemmte sich hoch, krallte sich mit beiden Händen in die Halterung des Pilotensessels, zog sich weiter und bekam etwas anderes zu fassen, das sich nachgiebig anfühlte, aber fest genug war, um ihm genügend Halt zu geben.
    Das MG verstummte. Für ein paar Sekunden war nichts zu hören als das tiefe Dröhnen der beiden Kolbenmotoren. Dann spuckte das Gewehr die nächste Salve aus, gefolgt von einer längeren Stille. Dirk stieß einen unterdrückten Fluch aus. Dieser Idiot! Wollte er erst Akuyi und dann sie alle umbringen, weil er es nicht lassen konnte, während ihres waghalsigen Flugmanövers herumzuballern? Das war der helle Wahnsinn. Dirk musste ihn unbedingt von

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