Sturm: Roman (German Edition)
dem Maschinengewehr wegreißen, bevor er weiterschießen konnte.
Mit aller Kraft klammerte er sich an den Türrahmen und zog sich weiter. Was sich nicht nur als vollkommen sinnlos, sondern auch als gefährlich erwies, denn in diesem Moment ließ Jurij die Lisunov wieder zurückkippen, und zwar derart abrupt, als würde ein Riese die Flügel der Maschine packen und sie mit einem Schwung in ihre ursprüngliche Position bringen. Dirk und Kinah schrien gleichzeitig auf, doch während Kinah vom Sicherheitsgurt in ihrem Sitz gehalten und lediglich durchgeschüttelt wurde, sauste Dirk wie ein Geschoss auf die rechte Bordwand zu und knallte wie zuvor auf der anderen Seite hart dagegen.
Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen.
Ein Krachen und Bersten riss ihn aus seiner Benommenheit, und als er den Kopf nach vorne wandte, blendete ihn ein grelles Licht, sodass er nicht erkennen konnte, was sich vor der Nase der Lisunov abspielte. Einige Herzschläge lang hatte er das Gefühl, als griffe das Licht nach ihm, als zöge es ihn aus der Kabine hinaus und nähme ihn mit auf eine Reise ohne Wiederkehr.
Doch dann geschah genau das Gegenteil.
Wieder krachte es, und Dirk begriff, dass es sich um eine Salve handelte, die in schneller Folge und sicherlich nicht aus einem normalen Maschinengewehr abgegeben wurde, sondern aus einer mehrläufigen, rotierenden Waffe, deren Feuerkraft schon allein durch die Zahl der Projektile viel größer war als die konventioneller Waffen.
Die Lisunov wurde getroffen. Die Scheibe vor dem Pilotensitz zerbarst, und dutzende Geschosse schlugen in die Decke und die Trennwand zur Kabine ein. Glas- und Metallsplitter zischten durch das Cockpit und richteten ein fürchterliches Zerstörungswerk an. Der Lichtstrahl, der Dirk wie ein Todesbote erschienen war, erlosch, der Hubschrauber flog über sie hinweg. Dirk wurde nach hinten geschleudert, versuchte, sich festzuhalten, erwischte den Rahmen der Cockpittür und wurde durch die nächste ruckhafte Bewegung der Maschine doch von den Füßen gerissen. Er ruderte wild mit den Armen, bekam etwas zu fassen, verlor auch diesen Halt wieder und landete äußerst unsanft auf dem Boden.
Die Lisunov bockte wie ein durchgehendes Pferd. Dirk wusste nicht, ob Kinah den Feuerstoß überlebt hatte oder von Treffern zerfetzt in den Gurten hing. Der Gedanke war so schrecklich, dass er ihn mit aller Macht antrieb. Er musste ins Cockpit. Er musste zu Kinah.
Plötzlich war ein Schatten neben ihm, der sich als Frau mit wehenden blonden Haaren und einem vor Entsetzen verzerrten Gesicht entpuppte. Janette. Biermanns Freundin hatte er nicht hier erwartet, eher Lubaya, die immer dort auftauchte, wo es Ärger gab. Wie dem auch sei – er konnte jegliche Hilfe gebrauchen.
»Was ist mit Jurij?«, schrie Janette und versuchte, ihre blonde Mähne zu bändigen, damit sie ihr nicht die Sicht nahm. »Ist er getroffen?«
Das war eine gute Frage. Dirk wollte Kinah helfen, sonst nichts. Aber wenn währenddessen die Maschine abschmierte, wäre niemandem geholfen.
»Kümmere du dich um Jurij!«, rief er Janette zu. »Ich sehe nach Kinah.«
Mit diesen Worten stieß er sich von der Wand ab und stolperte gegen den kräftigen Luftzug an, der mit wütendem Fauchen durch die zerstörte Cockpitscheibe in das Flugzeug fuhr. Jurij und Kinah saßen immer noch in den Ledersitzen – zumindest sah es so aus. Dirk konnte nicht erkennen, ob sie verletzt waren, aber er befürchtete das Schlimmste. Der Wind trieb ihm die Tränen in die Augen, zudem wirbelten Staub, Dreck und Unrat durch das Cockpit und erschwerten ihm zusätzlich die Orientierung.
Janette war mit einem Satz an ihm vorbei, packte Jurij an den Schultern und schüttelte ihn. Dirk verstand nicht, was sie schrie, doch sie wollte zweifellos erreichen, dass Jurij seine Hände, die schlaff neben ihm hingen, wieder um das Steuer klammerte und die Maschine von der Felswand weglenkte, auf die sie zuflog. Janettes Haare flatterten derart wild durcheinander, dass Dirk zunächst nichts anderes sah als blonde Strähnen. Das ohnehin alles andere als helle Kabinenlicht flackerte und verzerrte seine Wahrnehmung. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, holte tief Luft und war mit zwei schnellen Schritten über knirschende Glassplitter hinweg bei Kinah.
Sie hatte sich tief in den Sitz gedrückt, um der verheerenden Wucht des Windes zu entgehen. Aber sie lebte. Ruckartig drehte sie den Kopf zu Dirk, und als sie ihn sah, huschte ein flüchtiges
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