Sturm: Roman (German Edition)
Aufrechten und zerschmettert den Leichtsinnigen. Und genau das haben wir vor uns.« Er deutete mit einer theatralischen Geste auf die ungewöhnlich ineinander verdrehten, spiralförmig von dem Flugzeug wegstrebenden Wolken. »Den Atem der Götter.«
»Ja«, sagte Kinah leise. »Das könnte man meinen. Es sieht tatsächlich so aus, als sei das göttlicher Atem, der sich ausdehnt und wieder zusammenzieht. Aber du hast schon wieder falsch zitiert.« Sie straffte sich. »Der Atem der Götter trägt den Aufrechten und zerschmettert den Verzagten – nicht den Leichtsinnigen.«
»Es gibt noch eine zweite Zeile«, mischte sich Lubaya ein. »Die Raubvögel der Savanne jagen den Suchenden und töten den Schwachen. Und meiner Meinung nach haben wir einen solchen Raubvogel hinter uns. Oder haben wir ihn inzwischen abgehängt?«
»Moment, ich werfe mal einen Blick auf mein Ortungsgerät.« Jurij erhob sich, stützte sich auf die Rückenlehne von Dirks Sitz und beugte sich so weit wie möglich vor, um an ihm vorbei nach unten zu spähen. »Ich glaube, ich sehe ihn. Zumindest scheint mir der Schatten da unten ein Hinweis darauf zu sein, dass es bislang bei einem einzigen Verfolger geblieben ist. Aber das kann sich schnell ändern.«
»Wenn du schon mal da bist, können wir gleich die Plätze tauschen«, sagte Dirk hastig.
»Gemach, gemach«, murmelte Jurij. »Ich muss wieder an das Funkgerät. Hören, was mir die Buschtrommeln über den Anflug weiterer Raubvögel verraten.«
»Wieso weitere Raubvögel?«, fragte Kinah alarmiert. »Soll das etwa heißen, dass noch mehr Hubschrauber auf dem Weg hierher sind?«
Jurij setzte sich den Kopfhörer auf und starrte mit zusammengekniffenen Augen nach draußen. Offensichtlich war er nicht gewillt, Kinah zu antworten.
»Wenn es stimmt, was Jurij mir erzählt hat«, erklärte Dirk unbehaglich, »bekommt der Hubschrauber gleich Verstärkung durch einen zweiten.«
»Na wunderbar«, sagte Kinah entgeistert. »Als wäre es nicht schon schlimm genug.«
»Ja«, sagte Dirk. Er versuchte, die Bewegungen des Steuerhorns auszugleichen, das in seiner Hand zu tanzen begann. »Aber das ist noch nicht alles. Jurij hat den Funkverkehr zwischen den beiden Hubschraubern abgehört. Demnach ist noch eine dritte Maschine hierhin unterwegs. Aber eine, die nicht zu den anderen gehört.«
»Du spinnst!«, entfuhr es Kinah.
»Nein«, antwortete Dirk gepresst. »Obwohl es mir lieber wäre. Denn ich fürchte, dass unsere Verfolger Akuyi an Bord haben.«
Dirks Erleichterung darüber, dass Jurij wieder auf dem Pilotensessel saß, hielt sich in Grenzen. Er selbst hatte den relativ bequemen Ledersitz gegen den harten Kabinenboden eingetauscht, und alles, was er von hier aus durch die Cockpitfenster sah, war ein Ausschnitt des Himmels und die zerklüfteten Felsen, zwischen denen sie flogen.
Er hatte Angst, erbärmliche Angst. Am Steuer hatte er wenigstens das Gefühl gehabt, die Lisunov kontrollieren zu können, auch wenn das natürlich reine Einbildung gewesen war – er hatte sie lediglich einigermaßen auf Kurs gehalten, und das wäre wahrscheinlich auch einem dressierten Schimpansen gelungen. Jetzt aber kehrte seine Flugangst mit doppelter Wucht zurück. Das Schlimme daran war, dass sie zum ersten Mal in seinem Leben in vollem Umfang berechtigt war.
»Sie wollen uns nicht auf die andere Seite kommen lassen!«, rief Kinah besorgt.
Sie hatte auch allen Grund zur Besorgnis. Gegen Jurijs Willen hatte sie auf dem Sitz des Kopiloten Platz genommen, und als wäre das noch nicht Provokation genug, hatte sie auch seinen ärgerlichen Rat bezüglich der Sicherheitsgurte ignoriert und mit einer kraftvollen Bewegung ihren Verschluss einschnappen lassen. Dass der Gurt um ihre schmale Taille passte, wunderte Dirk nicht, wohl aber, dass sie ihn kurz darauf wieder lösen wollte, um ihn nachzujustieren.
Es ging nicht. Was auch immer man von Jurijs Äußerungen über Stahlmembranen in Kopfhörern und ähnlichem Unsinn halten mochte, in puncto Sicherheitsgurte hatte er nicht übertrieben. Der Verschluss klemmte derart fest, dass Kinah nicht die geringste Chance hatte, ihn zu öffnen. Auch Dirk hatte sich daran versucht, bis Kinah ihn mit einem wütenden Fauchen vertrieben hatte.
»Dann warte halt auf den Schlüsseldienst«, hatte er gesagt und sich schmollend auf den Boden der Kabine zurückgezogen, wo er jetzt mit angewinkelten Knien saß.
Kinah fragte ihn nicht, was er mit dem ›Schlüsseldienst‹ meinte. Stattdessen
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