Sturm: Roman (German Edition)
als harmloser Lichtreflex und das Geräusch als der Widerhall herabfallender Steine.
Dirk versuchte, seinen rasselnden Atem unter Kontrolle zu bringen, der sich mit dem Heulen des Windes zu einer Geräuschkulisse verband, die jedem Horrorfilm Ehre gemacht hätte. Es war vollkommen schwachsinnig, hier stehen zu bleiben, und dass er in jeder Hand einen Stein hielt, machte es nicht besser. Es war lächerlich, sich mit Steinen gegen einen oder mehrere bewaffnete Männer verteidigen zu wollen.
Andererseits: Hatte David nicht auch Goliath mit einem Stein erledigt?
Wieder ein Geräusch, ein Rascheln, dann etwas, das wie ein unterdrückter Fluch klang. Dirk erstarrte. Er wusste, dass er hier wie auf dem Präsentierteller stand. Das Licht aus dem Loch in der Höhlendecke fiel einer fernen Straßenlaterne gleich auf ihn, während sein Gegner so tief in die Schatten gewichen war, dass er fast gänzlich mit ihnen verschmolz.
Als ein Schleifen erklang, das näher kam, begriff Dirk, dass er nicht darauf warten durfte, was die Gegenseite unternahm. Mit dicht an den Felsen gedrücktem Rücken begann er sich zurückzuschieben. Wenn er sich irgendwo verstecken konnte, dann nicht in diesem Gang, sondern in dem Bereich der Höhle, den er bereits kannte. Und auch falls es zum Kampf kam, war er dort besser aufgehoben – denn dann würde er seine Gegner herankommen sehen und nicht umgekehrt.
Das Bleichgesicht schien jedoch nicht bereit zu sein, ihn einfach entwischen zu lassen. Dirk hatte noch keine drei Schritte im Rückwärtsgang zurückgelegt, da beschleunigte sich sein Herzschlag erneut und jagte das Adrenalin durch seinen Körper. Die Schatten wurden für einen flüchtigen Moment heller, und das fahle Konterfei von Bleichgesicht blitzte auf.
Der Mann hatte eindeutig die Verfolgung aufgenommen. Er schlich vorwärts und in Dirks Richtung. Dirk erahnte die Bewegung mehr, als dass er sie sah, denn sein Gegner hatte nicht nur die Schatten auf seiner Seite, sondern verfügte offenbar auch über das instinktive und durch jahrelanges Training verfeinerte Geschick eines Kriegers, der jede noch so kleine Deckung ausnutzte und es dabei verstand, jegliches verräterische Geräusch zu vermeiden.
Was sagten die weisen Männer aus dem fernen Osten? Ein Kampf dem man aus dem Wege gehen kann, ist ein gewonnener Kampf.
Dirk war nur zu gern bereit, der drohenden Auseinandersetzung mit Bleichgesicht aus dem Wege zu gehen. Er beschleunigte seine Schritte, doch da er sich nicht überwinden konnte, seinem Verfolger auch nur für einen Augenblick den Rücken zuzuwenden, stolperte er blind rückwärts und stieß dabei gegen einen Felsvorsprung nach dem anderen. Es war ihm egal, dass er seiner ohnehin schon beachtlichen Sammlung von blauen Flecken und Abschürfungen noch ein paar neue hinzufügte, doch auf diese Weise gelang es ihm natürlich nicht, sich so schnell zurückzuziehen, wie es ihm lieb gewesen wäre.
Aber das ließ sich ändern, wenn er sich nur im richtigen Moment umdrehte und davonrannte, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Kaum hatte Dirk den Gedanken zu Ende gedacht, als der Gang in die Höhle mündete, aus der er gekommen war. Jetzt oder nie. Er wirbelte herum, lief los … und knallte mit dem Kopf gegen einen Vorsprung. Bunte Sterne funkelten vor seinen Augen. Er taumelte zurück, ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und versuchte, nach vorne zu stürmen.
Er kam nicht weit. Bleichgesicht schien bloß auf diese Gelegenheit gewartet zu haben. Ehe Dirk begriff, wie ihm geschah, spürte er einen harten Aufprall. Er schrie, riss die rechte Hand hoch und schlug blindlings mit dem Stein zu. Bleichgesicht sprang zur Seite, sodass Dirk ihn verfehlte, haltlos nach vorne stolperte und schließlich in die Knie ging.
»Hör mit dem Scheiß auf!«, brüllte Bleichgesicht.
Dirk registrierte entgeistert, dass der Mann nicht Englisch oder Französisch, sondern Deutsch sprach. Aber das änderte nichts daran, dass er ihn verfolgt und angegriffen hatte.
Mit einem Schnauben, das einem wütenden Nashorn alle Ehre gemacht hätte, rappelte sich Dirk wieder hoch. Er hatte noch immer den Stein in der Hand und war entschlossen, ihn einzusetzen. Doch auch diesmal wich Bleichgesicht fast spielerisch tänzelnd aus.
Anscheinend hatte er nicht bedacht, dass Dirk in der linken Hand ebenfalls einen Stein trug.
Dirk nahm all seine Kraft zusammen und hämmerte seine Faust mitsamt Stein in die Magengrube seines Gegners. Der Kerl
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