Sturm: Roman (German Edition)
aufflammen, noch bevor er sich einreden konnte, dass es sich gewiss nicht um einen widerlichen Nager handelte, der darauf aus war, seine spitzen Zähne in sein Fleisch zu schlagen. Es konnte alles Mögliche sein (sagte sein Verstand), zum Beispiel Maulwürfe, Erdhasen oder anderes Kleingetier, dessen Namen er wahrscheinlich noch nie gehört hatte, weil er sich in der Tierwelt Nordafrikas überhaupt nicht auskannte. Schlimmstenfalls eine Schlange, die auf der Suche nach Beute durch die Röhren kroch. Allerschlimmstenfalls eine Schlange, die ihn für eine leckere Hauptmahlzeit hielt, nach der sie sich für ein paar Monate auf die faule Haut legen konnte.
Da raschelte es wieder, gefolgt von einem fast lautlosen Huschen, und Dirk erstarrte. Keine Schlange. Ganz sicher nicht. Und wohl auch kaum ein Hase oder ein ähnlich scheues Tier, das angesichts der Masse Mensch, die sich ihm näherte, schleunigst die Flucht ergriffen hätte.
Nein, das, was auf ihn zuhielt, war ein Raubtier. Keines von der Sorte, die einen Mann mit einem Sprung von den Beinen zu reißen vermochte, aber eines, das ihm sehr wohl gefährlich werden konnte.
Langsam, ganz langsam schob er sich zurück. Seine Bewegungen wurden von einem Instinkt gesteuert, von etwas tief in ihm, auf das er keinen bewussten Zugriff hatte. Er war keines logischen Gedankens mehr fähig. Vor ihm trippelten Ratten durch die Dunkelheit, das war das Einzige, was zählte. Er hatte geglaubt, sein Kindheitserlebnis durch die Geschehnisse in den Grotten von Al Afra endgültig überwunden zu haben. Aber er hatte sich geirrt. Die Angst vor den ekelhaften Viechern war so fest in ihm verankert, dass er ihr hilflos ausgeliefert war.
Wie hatte er die Maschinenpistole nur Noah überlassen können?
Wenn er die automatische Waffe zur Verfügung gehabt hätte, hätte er sie zweifellos auch benutzt. Dabei wäre es Selbstmord, in dieser engen Röhre herumzuballern. Die Wahrscheinlichkeit, von Querschlägern getroffen zu werden, war viel zu groß.
Er kroch weiter zurück. Das Rascheln kam näher. Schon vermeinte er, tückische schwarze Augen funkeln zu sehen, die ihn voller Angriffswillen musterten, aber das war natürlich Blödsinn. Es gab nicht die geringste Spur von Helligkeit, die sich irgendwo hätte spiegeln können.
Dirk schrammte hastig an hartem Gestein entlang und handelte sich dabei einige Abschürfungen ein. Seine Bewegungen waren derart hektisch, dass er immer wieder Gefahr lief, irgendwo hängen zu bleiben.
Dann ging es plötzlich leichter. Er hatte den Abschnitt erreicht, in dem sich die Röhre zu einer kleinen Höhle verbreiterte. Auch auf dem Hinweg hatten seine Hände plötzlich ins Leere gegriffen, und genauso wie jetzt hatte er gierig die scheinbar etwas sauerstoffreichere Luft in sich eingesogen.
Vielleicht konnte er sich hier umdrehen und den Rest des Weges vorwärtsrobben …
Und damit Akuyi im Stich lassen?
Es war wie ein stummer Aufschrei. Wenn er seine Tochter jemals wiedersehen wollte, würde er das bestimmt nicht erreichen, indem er jetzt kniff.
Der Gedanke brachte ihn zur Besinnung. Er war weit davon entfernt, ruhig und rational denken zu können, aber eine Instanz, von deren Existenz er bisher nicht die geringste Ahnung gehabt hatte, übernahm die Kontrolle. Stell dich dem Kampf!, forderte sie eindringlich.
Kämpfen? Wie denn? Er hätte beinahe gelacht. Er war wehrlos und unbewaffnet. Er wusste nicht, wie viele der widerwärtigen Viecher nur darauf warteten, über ihn herzufallen. Und er würde sie nicht einmal kommen sehen!
Vorsichtig stemmte er sich auf Hände und Knie hoch. Er stieß nirgendwo an. Er streckte die Hand nach oben und fühlte ebenfalls keinerlei Widerstand. Vielleicht war diese Höhle ja groß genug, dass er darin stehen konnte.
Das Trippeln und Rascheln war jetzt so nah, dass er sich entscheiden musste: Entweder, er drehte sich um und machte, dass er hier wegkam, oder er stellte sich tatsächlich dem Kampf, den er als kleiner Junge schon einmal aufgenommen und auf so schreckliche, traumatische Weise verloren hatte.
Mit einer entschlossenen Bewegung richtete sich Dirk auf – und prallte mit dem Kopf gegen Felsen. Bunte Lichter tanzten vor seinen Augen. Irgendetwas polterte, dann fielen kleine Steine erst auf seine Schultern und schließlich zu Boden.
Einige Sekunden später sah er immer noch Lichtreflexe, doch diesmal waren es nicht bloß die Folgen des Stoßes, sondern tatsächlich Lichtstrahlen, die sich durch winzige Öffnungen in
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