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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Höhlendecke einen Weg zu ihm bahnten. Der Strom nachrutschender Steinchen ließ ihn hastig einen Schritt zurücktreten.
    Nun erst erkannte er, was da herabrieselte: Es waren Muscheln und kleine Fossilien, zusammengepresstes, versteinertes Erdreich mit einer Vielzahl von Einschlüssen und Hohlräumen, eine alles andere als feste Schicht, die vielleicht schon seit Jahrhunderten nur darauf wartete, nachzugeben und einzustürzen. Doch eigentlich interessierte es Dirk nicht sonderlich, was über ihm war, Hauptsache, er konnte wieder sehen.
    Und was er sah, waren tatsächlich Ratten. Fünf oder sechs dürre, aber erstaunlich große Viecher mit feuchtem braunen Fell, was darauf schließen ließ, dass irgendwo in der Nähe Wasser sein musste. Ihre Augen blitzten genauso tückisch und angriffslustig, wie er befürchtet hatte.
    Dirk starrte auf sie hinab, sie starrten zu ihm herauf, überrascht, dass plötzlich Helligkeit eingezogen war, wo seit Ewigkeiten Dunkelheit geherrscht hatte. Dirk spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, und beobachtete voller Entsetzen, dass dies auch bei den Ratten der Fall war.
    Beide Seiten betrachteten einander als Todfeinde.
    Die erste Ratte, ein besonders mageres, hässliches Exemplar, trippelte ein paar Schritte auf ihn zu. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und schnüffelte. Sie wollte wissen, mit wem sie es zu tun hatte – ob es ein Opfer war, das Angst vor ihr hatte, oder ein Raubtier wie sie selbst.
    Dirk wünschte sich, er würde nicht vor Angst zittern und schwitzen. Aber daran ließ sich nichts ändern. Wenn er sich jetzt bückte, um eine der Fossilien aufzuheben, würden die Ratten sofort über ihn herfallen. Sie waren ja nicht dämlich. Dämlich war nur er, der ohne Waffe und ohne einen Funken Verstand in ihr Refugium eingedrungen war.
    Zu der ersten, immer noch schnüffelnden Ratte gesellten sich zwei weitere. Die anderen warteten ein Stück entfernt ab – wohl nicht aus Angst, sondern eher aus Berechnung.
    Eine versteinerte Muschel traf Dirks Schulter, und direkt vor ihm krachte ein Teil der Decke herunter. Eine der Ratten sprang quiekend beiseite. Es hätte nicht viel gefehlt, und die drei vorwitzigen Tiere wären erschlagen worden, woraufhin die übrigen Ratten wahrscheinlich das Weite gesucht hätten. Doch so leicht wollte das Schicksal Dirk offensichtlich nicht davonkommen lassen.
    Dafür brachte ihn der Gesteinsregen auf eine Idee. Er griff mit beiden Händen in die Decke über sich. Seine Finger ertasteten Öffnungen, die sich mit ein wenig Mühe gewiss erweitern lassen würden. Mit aller Kraft stieß er zu, drückte und zerrte …
    Und die Ratten griffen an.
    Wahrscheinlich ahnten sie, was dieses große, aufrecht vor ihnen stehende Wesen vorhatte. Und sie waren nicht gewillt, es ihm durchgehen zu lassen.
    Dirk füllte seine Hände mit Fossilien und sprang zurück – keinen Augenblick zu früh, denn die Ratten gingen zum Angriff über. So dürr sie auch waren, sie verfügten über kräftige Hinterbeine. Die erste Ratte schoss wie eine Springmaus auf ihn zu, nur ungleich gefährlicher. Dirk riss die rechte Hand hoch und erwischte das Biest an der Seite. Er fügte ihm nicht wirklich Schaden zu, schlug es aber immerhin in die Flucht.
    Der zweiten Ratte schleuderte er entgegen, was er in der linken Hand hielt. In dem Wurf lagen all sein Entsetzen und die hilflose Wut, die er damals als Kind empfunden hatte, als die Ratte seinen tapferen Spielzeugsoldaten versenkt und ihn angegriffen hatte. Die geballte Ladung traf das Tier wie die Kugeln einer Schrotflinte und schleuderte es gegen die gegenüberliegende Wand. Dirk sah aus den Augenwinkeln, wie es an dem Felsen hinunterrutschte und reglos liegen blieb.
    Das war nicht das Einzige, was in diesem Moment geschah. Ein weiterer Teil der Decke brach ein, und dort, wo Dirk in dem porösen Material herumgewühlt hatte, stürzte all das herab, was vielleicht schon seit Jahrhunderten nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte, krachte direkt vor Dirk auf den Boden und zerschmetterte die Ratten, die sich dem Angriff nicht angeschlossen hatten. Steine und Fossiliensplitter flogen durch die Luft. Ein Riss jagte wie ein gezackter Blitz über den Grund, auf dem er stand. Dirk spürte einen Ruck unter seinen Füßen und sah, dass sich der Spalt rasend schnell erweiterte.
    Die magere Ratte, die ihn als Erste angesprungen hatte, rappelte sich auf und fixierte ihn mit ihren tückischen schwarzen Augen, und er hatte für eine Sekunde

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