Sturm: Roman (German Edition)
Haut, nach einer leidenschaftlichen Umarmung, die bei ihrem Anblick trotz allem in ihm erwacht war und ihm nun die Luft abschnürte, machte es nur noch schlimmer. Was blieb, war das Gefühl, zu spät zu kommen, egal, was er tat, zu versagen, was auch immer ihm einfallen würde, und dennoch immer weiter und weiter laufen zu müssen, weil er nichts unversucht lassen durfte.
Die bitterböse Warnung des alten Mannes … Er hatte Akuyi und Kinah den Tod prophezeit. Und der Welt den Untergang. Aber wo war da der Unterschied? Wenn Kinah und Akuyi starben, dann war für Dirk sowieso alles zu Ende. Was machte es da schon, wenn die ganze Welt zerstört wurde? Aus den Fugen geraten war sie ja ohnehin schon.
Nein. Kinah. Akuyi. Nur diese beiden zählten für ihn, nur der Gedanke an sie hielt ihn aufrecht, bewahrte ihn davor, an Ort und Stelle zusammenzusacken und auf das Ende zu warten, das kommen würde und kommen musste, wenn er sich seiner Erschöpfung ergab und den Folgen des Rattenbisses, der mehr getan hatte, als nur seine Hand zu verletzen.
Dirk war ohne zu zögern in die Richtung gelaufen, in die Kinah gedeutet hatte. Es war sein einziger Hinweis, das Einzige, was er tun konnte. Ohne viel von seiner Umgebung mitzubekommen, war er vorwärts gestolpert, durch Gänge, die fast völlig finster gewesen waren und ihn mit Vorsprüngen und plötzlichen Abzweigungen genarrt hatten. Mehrmals war er in Felsvorsprünge hineingelaufen, und zu allem Übel hatte er sich irgendwo beinahe den Schädel eingeschlagen. Ein bisschen Helligkeit hatte es nur in den zwei oder drei kleineren Höhlen gegeben, in die er zwischendurch geraten war, aber auch dort war das Licht derart spärlich durch winzige Löcher und Risse in der Decke gedrungen, dass er kaum das zum Teil knöchel-, zum Teil kniehohe Wasser hatte sehen können, durch das er sich einen Weg hatte bahnen müssen …
Und nun war er in eine riesige, zugige Grotte gelangt, einen natürlichen Dom, der keinen Anfang und kein Ende zu haben schien und seine Wahrnehmung endgültig auf den Kopf stellte.
Von Kinah keine Spur, geschweige denn von Akuyi. Die zerklüfteten Wände schienen vor ihm zurückzuweichen, wenn er sie näher betrachten wollte, die Decke war derart hoch und fern, dass er sie nicht mit dem Blick einfangen konnte, und seine suchenden Augen fanden nichts, das wie ein Ausgang aussah. Er versuchte, die Richtung des Luftzugs zu bestimmen, der seine Haare zerzauste und um seine Beine strich wie eine neugierige Katze. Aber es gab keine Richtung. Der Wind kam von überall und nirgends, pirschte sich über vorwitzige Felsnasen und zerklüftete Wände an, fiel wieder in sich zusammen, verwirbelte ohne erkennbaren Grund. Dabei brachte er Kälte mit, eine Kälte, die sich in Dirks Herz fraß und den fürchterlichen Verdacht nährte, dass er Kinahs Auftauchen genauso missverstanden hatte wie ihre Geste, der er gefolgt war. Möglicherweise hatte er sich in eine Sackgasse locken lassen. Bei der Vorstellung krampfte sich alles in ihm zusammen.
Er brauchte eine Pause, nur einen winzigen Moment, um sich zu sammeln, bevor er die Grotte nach einem verborgenen Ausgang absuchte. Irgendwoher musste der Wind schließlich kommen. Und wo Wind war, würde er auch eine Spur von Kinah finden … Dieser Gedanke war plötzlich in ihm, ohne dass er hätte sagen können, warum.
Er wäre auch gar nicht in der Lage gewesen, darüber nachzusinnen. Nach ein paar unsicheren Schritten stand er vor einer steil aufragenden Felswand, die irgendwo über ihm in der Dunkelheit verschwand. Gegen sie gestützt langsam zu Boden zu rutschen und die Augen zu schließen wäre eine Wohltat. Aber er ahnte, dass er dann nicht mehr aufstehen würde. Besser, er ließ es nicht darauf ankommen.
Mit einem erstickten Keuchen lehnte sich Dirk gegen den rauen, unbehauenen Felsen. Er konnte nicht mehr. Sein Atem ging rasselnd, seine Beine waren schwer und verkrampft und seine Augenlider flatterten. Er hatte geahnt, dass er den Zusammenbruch nicht mehr lange würde hinauszögern können. Aber er durfte nicht auf die verlockende Stimme hören, die ihm riet, sich seiner Erschöpfung zu ergeben und abzuwarten, ob sich nicht alles von selbst regelte. Nichts würde sich regeln, dessen war er sicher. Er musste etwas unternehmen, seine Familie finden und retten, die beiden einzigen Menschen, die ihm je wirklich etwas bedeutet hatten.
Doch dafür benötigte er Hinweise. Hinweise, die er vielleicht bislang übersehen hatte und die mit
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