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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Diese Luftturbulenzen waren nicht normal, waren keine Laune der Natur, die dafür sorgte, dass er selbst hier in den steinernen Eingeweiden der Erde keinen Schutz vor den Gewalten fand, die ihm in den letzten Tagen derart zugesetzt hatten. Kinah hatte ihm viel über die alten Naturgötter erzählt, teilweise sehr naive Geschichten, aber auch manch Erstaunliches, dem er nur mit halbem Ohr zugehört hatte, weil er damals zu sehr in seiner eigenen Welt gefangen gewesen war. Aber er erinnerte sich mit schmerzhafter Deutlichkeit an ihre Warnung vor den Katastrophen, die die alten Götter der Menschheit sandten, wenn sich diese in ihrer Verblendung anmaßte, die Natur zu zerstören, statt im Einklang mit ihr zu leben.
    Kinah hatte gesagt, dass die Natur wie ein Sturm unter den Menschen wüten würde, die sie in ihrer Selbstüberschätzung immer und immer wieder herausgefordert hatten. Vielleicht hatte sie das ja nicht nur im übertragenden Sinne gemeint. Vielleicht war es ihr bitterer Ernst gewesen.
    Er kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen. Noch bevor ihn der Windstoß traf, spürte er die Gefahr. Es war sein Instinkt, der in ihm aufschrie, der älteste, verborgenste Teil seiner Seele, der all die Jahre wie ein betäubtes Tier in ihm geschlummert hatte, ein Teil, der von Dingen wusste, die sein Verstand nicht einmal im Ansatz hätte erfassen können. Dirk reagierte, ohne nachzudenken. Seine Hand klammerte sich an das Metall, über das seine Finger gerade noch unschlüssig gestrichen waren. Gleichzeitig versuchte er, sich wegzuducken, sich klein zu machen wie ein Tier, das sich einem überlegenen Angreifer gegenübersieht.
    Keinen Sekundenbruchteil zu früh.
    Bislang hatte er geglaubt, eine Turbine würde ihm kalte Luft entgegenschleudern, doch nun wurde ihm klar, dass es allerhöchstens ein Turbinchen in der Anlaufphase gewesen war. Jetzt wurde der große Bruder hinzugeschaltet – zumindest kam es ihm so vor. Die erste Bö erwischte ihn wie einen Kampfpiloten, dessen Kanzel plötzlich weggerissen wurde. Es war kein Wind, sondern die eisige Faust eines Riesen. Mit fast übermenschlicher Kraft klammerte sich Dirk an dem Eisenträger fest, der hier irgendwann einmal eingesetzt worden war. Die Atemluft wurde ihm von den Lippen gerissen, sein Schrei war nur ein ersticktes Keuchen. Schlimmer noch war das schmerzhafte Zerren an seinen Haaren, an seiner Gesichtshaut, an seinem ganzen Körper, das seine Kleider so hart knattern ließ wie eine umtoste Flagge, die man nach einer Unwetterwarnung nicht rechtzeitig eingeholt hatte.
    Er knickte in den Knien ein, teils aus Schwäche, teils in instinktivem Aufbäumen gegen die Gewalten, denen er nicht mehr lange würde trotzen können. Seine Finger knackten, als sie überdehnt wurden – er hörte es nicht, er fühlte es, und dann erfüllte ihn die panische Gewissheit, dass er gleich den Halt verlieren würde. Mit purer Verzweiflung stemmte er sich dem Tosen entgegen, das ihn wie ein unachtsam liegen gelassenes Spielzeug davonzuwirbeln drohte. Gleichzeitig versuchte er, sich vorwärts zu ziehen, heran an den Eisenträger und damit an die Abzweigung, in der Lubaya gerade noch rechtzeitig verschwunden war, als hätte sie vom Schicksal eine ganz persönliche Warnung erhalten. Er gewann ein paar kümmerliche Zentimeter, die er gleich darauf wieder einbüßte, als ihn weitere harte, eisige Schläge trafen. Er wusste, dass er verloren war, wenn er jetzt nachgab, und verdoppelte seine Anstrengungen.
    Es war vergebens. Jedes winzige Stückchen Boden, das er den Urgewalten abtrotzte, wurde er wieder zurückgetrieben. Es war, als folgte der Sturm einem bösartigen Spieltrieb, als wollte er sich erst ein wenig mit ihm amüsieren, bevor er ihm den Todesstoß versetzte. Dirk versuchte, den Mund zu öffnen und nach Lubaya zu rufen, die sich irgendetwas einfallen lassen musste, um ihn hier rauszuholen. Aber es war unmöglich, gegen das Heulen anzuschreien, und außerdem nicht ratsam, die Lippen mehr als einen kleinen Spalt weit zu öffnen, wenn er nicht wollte, dass ihm die Wangen aufgebläht wurden.
    Es war auch nicht nötig. Eine Stimme rief etwas, und das Geräusch hastiger Schritte drang an sein Ohr, herangetragen von den Böen, die ihn jetzt wie mit Dutzenden unsichtbarer Fäuste bearbeiteten und beutelten. Dirk verstand nicht, was man ihm zugerufen hatte, aber er würde sein Bestes tun, um durchzuhalten, und er würde sich weiter nach vorne ziehen, wenn er es irgendwie konnte.
    Er konnte

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