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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geschehen?«
    »Das will ich doch nicht hoffen.« Der Langhaarige lächelte schwach, wurde aber sofort wieder ernst, als er Dirks Blick bemerkte. »Nein, ich kann Sie beruhigen. Als ich Kinah das letzte Mal sah, war sie bei bester Gesundheit.«
    »Und wann war das?«, fragte Dirk gepresst.
    »Gestern«, antwortete sein Gegenüber rasch. »Ein paar Stunden, bevor Sie kamen. Sie hat einige Freunde verabschiedet, die nicht wie wir hier bleiben wollten, um zu sehen, wie sich der Sturm entwickelt. Sie wollte später zurückkommen. Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen, weil ich nämlich beschäftigt war – nicht zuletzt damit, Sie rauszuschmeißen.«
    Gestern! Hatte er Kinah tatsächlich nur verpasst, weil er seine Flugangst nicht hatte überwinden können und mit dem Wagen von München nach Frankfurt gefahren war, statt die Strecke wie Rastalocke und Janette im Flugzeug zurückzulegen? Wenn er wenigstens darauf gedrängt hätte, einen Tag früher zu fliegen …
    »Was waren das für Freunde, von denen sich Kinah verabschiedet hat?« Dirk musste plötzlich daran denken, was Mario ihm erzählt hatte, und an das Bild, das er im Internet gesehen hatte. Gestalten, die in einer dunklen Höhle am Boden kauerten. »Vielleicht Frauen, die in Not geraten sind?«
    Der Mann, dessen Hemd und struppige Haare so gar nicht zu seinem Gesichtsausdruck passten, machte eine ungeduldige Handbewegung. »Auch Frauen waren darunter, ja, aber ob sie in Not geraten sind, weiß ich nicht. Sie alle sind Menschen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und wissen, dass Europa ihnen nicht die Verheißung bringen wird, die sie oder ihre Eltern sich erträumt haben. Sie kehren in ihr Heimatland zurück, und sie tun das nicht ohne Vorbereitung, sondern beschreiten den alten, traditionellen Weg der Reinigung, wie vor ihnen schon Generationen von Menschen, die aus der Fremde in ihre Dörfer zurückkehrten.«
    »Sie meinen Schwarzafrikaner …«
    »… die zu ihren Wurzeln zurückwollen, wie letztlich auch Ihre Frau.«
    »Was soll das heißen?« Dirks Stimme rasselte wie die eines Lungenkranken, der einen Wutanfall bekommt. »Ist das hier eine Zurück-zur-Natur-Sekte? Geht es darum, mit bunt bemalten Gesichtern zu den Klängen von Buschtrommeln um ein Feuer herumzuhopsen? Ist es das, wozu Sie meine Frau animieren?«
    »Ich animiere Ihre Frau zu gar nichts«, erwiderte sein Gegenüber säuerlich. »Sie weiß sehr gut selbst, was sie will.«
    Dieses Gefühl hatte Dirk allerdings auch schon immer gehabt. Das hinderte ihn aber nicht daran, zu sagen: »Hier stimmt doch irgendetwas nicht! Eine Bibliothek mitten in einer Grotte. Menschen, die hier Unterschlupf finden, um sich zu reinigen, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren. Wie passt das alles zusammen?«
    Der Langhaarige atmete tief durch. »Ich kann mir vorstellen, dass Sie viele Fragen haben. Aber uns läuft die Zeit davon. Da draußen« –er deutete nach oben – »ist die Hölle los …«
    »Für mich ist schon lange die Hölle los«, unterbrach ihn Dirk wütend. »Wenn Sie mir nicht sagen können oder wollen, wo Kinah ist, dann verraten Sie mir wenigstens, wo Akuyi steckt!« Er wandte sich an Lubaya.
    Die massige Frau legte den Kopf schief und starrte zu ihm herab. Sie hatte mittlerweile auf einem Hocker Platz genommen, der fast vollständig unter ihrem weiten Gewand verschwand, sodass es aussah, als schwebe sie in Sitzposition neben ihm. Als sie in dieser Höhle angekommen waren, hatte sie ihn so, wie er war – halbtot und vor Schmerzen zitternd –, gepackt und an die Wand gelehnt, mit einer raschen Bewegung seinen Ärmel aufgekrempelt, seine Wunde begutachtet und in besorgtem Tonfall etwas in ihrer Heimatsprache gemurmelt. Dann hatte sie Bücher aus den Regalen gezogen, sorgfältig aufgeschichtet und schließlich seinen Arm darauf gebettet. Nicht, dass es ihr damit gelungen war, seine Schmerzen zu lindern. Auch wenn Dirk seinen Arm nicht bewegte, hatte er das Gefühl, als krabbelten tausende von Ameisen darin herum, die ihn bissen und ihre Säure verspritzten.
    Aber das war nichts gegen seine innere Unruhe. Er wollte endlich wissen, was der ganze Wahnsinn zu bedeuten hatte, in den er hier hineingestolpert war.
    »Ich wüsste auch gerne, wo Akuyi steckt.« Lubayas breites, fülliges Gesicht blieb ausdruckslos, aber in ihren Augen meinte Dirk so etwas wie Trauer zu erkennen.
    Er erschrak.
    »Ich weiß nichts über den Aufenthaltsort der beiden Menschen, die du liebst«, fuhr Lubaya mit

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