Sturm: Roman (German Edition)
hier unten …«
»Moment«, unterbrach ihn Lubaya aufgeregt. Sie kehrte mit eiligen Schritten zurück und schwenkte den Tiegel in der Hand wie eine Trophäe. »Jetzt habe ich es! Der Blitz soll in mich fahren, wenn ich nicht genau das gefunden habe, was alles Schlechte und Verderbte aus dir heraustreiben wird.«
Olowski wandte den Kopf in ihre Richtung, blinzelte geistesabwesend und starrte dann wieder auf den Monitor – und das mit einem dermaßen alarmierten Gesichtsausdruck, dass er sofort Dirks Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Was ist?«
»Sämtliche Verbindungen nach draußen sind gekappt«, murmelte Olowski. »Aber ein paar Innenverbindungen stehen noch.«
Lubaya ließ sich ächzend auf dem Hocker nieder. Dirk nahm es nur am Rande wahr. Ihn interessierte viel mehr, was Olowski gerade auf dem Bildschirm sehen mochte. »Ist irgendetwas zu erkennen?«, fragte er.
»Steine und dunkle Gänge«, antwortete Olowski. »Aber keine Menschen.«
Dirk zuckte zusammen, als Lubaya ihre Hand auf seine Schulter legte. »Wenn mich nicht alles täuscht, wird dir das hier helfen«, sagte sie. »Aber wie heißt es so schön? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.«
Dirk wurde mehr als nur ein bisschen mulmig. »Was ist das?«, fragte er, während Lubaya den überdimensionalen Pinsel in den Tiegel tauchte.
Lubaya legte den Kopf schief. »Glaub's mir – das willst du gar nicht wissen.«
Dirk wollte protestieren, doch da schrie Olowski auf: »Das gibt es doch nicht! Das ist ja Kinah!«
Kapitel 16
Als sie das Ende des Ganges erreichten, schlug ihnen keine Sturmbö entgegen, ja sie spürten noch nicht einmal einen Windstoß oder auch nur einen Luftzug. Olowski trat als Erster in die vor ihnen liegende Grotte. Dirk sah ihm besorgt hinterher. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden und ob sie überhaupt in die richtige Richtung gegangen waren, nachdem Olowski Kinah mittels einer der Innenkameras entdeckt hatte. Nach ein paar Schritten blieb Olowski vor einem großen Trümmerstück stehen, einem zersprungenen Felsenfragment. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben.
Dirk folgte seinem Blick mit den Augen.
Die Grotte war nach oben nicht vollständig geschlossen, ganz im Gegenteil. Sie wirkte wie aufgerissen. Riesige, ausgefranste Löcher in der Decke passten zu den Gesteinsbrocken, die überall herumlagen und den Eindruck vermittelten, hier hätte ein Artillerieangriff stattgefunden. Das Licht, das durch die Lücken und Spalten fiel, warf gezackte, helle Flecken auf den Boden und beleuchtete ein Meer von Splittern, aus dem scharfkantige Felsstücke unterschiedlichster Größe ragten. Dirk fühlte sich, als würde er in das Kuppeldach einer Kathedrale hinaufstarren, das von Bombensplittern getroffen worden war und in sich zusammenzustürzen drohte: winzig und verletzlich, hilflos dem ausgeliefert, was ihn im wahrsten Sinne des Wortes unter sich begraben konnte.
»Meine Güte!«, murmelte Lubaya. »Hier sieht es aus wie nach der Schlacht der alten Götter um die Vorherrschaft über die Welt …«
Olowski blickte immer noch nach oben. »So kann man es auch sehen. Es hätte jedenfalls nicht viel gefehlt, und die ganze Decke wäre heruntergekommen.«
»Das kann auch jetzt noch passieren«, warf Lubaya ein. »Es gibt da eine alte Geschichte aus meiner Heimat. Eine Geschichte aus der Zeit, als die Götter gegeneinander kämpften und Buku beschloss, das Weltendach auf seine Feinde herabstürzen zu lassen. Er rief einen fürchterlichen Sturm herbei, der bis in die entlegensten Winkel der Kuppel fuhr, die sich über die Welt spannte – ohne zu bedenken, dass er damit nicht nur seinen Feinden, sondern auch seinen Verbündeten schaden würde.«
»Ja, es kann böse enden, wenn man Geister ruft, die man nicht unter Kontrolle hat.« Olowski riss sich fast gewaltsam vom Anblick des ramponierten steinernen Daches los. »Nur dass es diesmal nicht die Götter sind, die in ihrem Zorn die Menschen gefährden. Es sind die Menschen selbst.«
»Und ich fürchte, sie sind im Begriff, es zu weit zu treiben«, sagte Lubaya.
»Wer auch immer es zu weit treibt – ich möchte nicht hier sein, wenn das Ganze einstürzt.« Olowski wandte sich an Dirk. »Kommen Sie endlich.«
»In die Grotte?«, fragte Dirk. »Ist das nicht zu gefährlich?«
Olowski seufzte. »Das ganze Leben ist gefährlich. Und noch gefährlicher ist es, sich im Zentrum eines Sturms zu befinden.«
»Was für ein Zentrum?« Dirk
Weitere Kostenlose Bücher