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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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angesichts dessen, was er in seiner ganzen Aufgewühltheit für Kinah empfand.
    Er bemühte sich nach Kräften, mit Lubaya mitzuhalten. Trotzdem bekam er nur wie durch einen Schleier mit, dass die massige Frau kurz innehielt, nach oben sah und dann umso schneller weiterlief und dass sie eine andere Richtung einschlug als zuvor. Olowski, der eben noch hinter ihm gewesen war, tauchte plötzlich neben ihm auf.
    »Laufen Sie!«, rief er. »Gleich kommt der ganze Mist runter!«
    Dirk konnte nicht beurteilen, ob das stimmte oder nicht, aber er hörte ein ganz und gar nicht vertrauenerweckendes Krachen und Knirschen über sich. Das Bild von Kinah zerstob und machte etwas anderem Platz, der schrecklichen Vorstellung von herabstürzendem Gestein, das sie alle miteinander zerschmettern und in blutige Fleischklumpen verwandeln würde.
    »Die Ruhe täuscht«, rief Olowski, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. »Es ist möglich, dass der Sturm noch einmal zurückkommt. Und das kann gerade jetzt der Fall sein.«
    Irgendetwas polterte über ihnen, und dann brach auch schon ein Felsstück aus der Decke der Grotte und schlug mit lautem Getöse irgendwo hinter ihnen auf.
    Dirk machte einen Satz nach vorne, und der Meteorologe sprintete im selben Moment in einem Tempo los, als wäre er im Nebenjob Kurzstreckenläufer. Dirk versuchte mitzuhalten, doch schon nach den ersten Metern schlitterte er über eine Ansammlung von Staub, Dreck und Steinsplittern, die ihn aus dem Takt brachte, sodass er sich halb um die eigene Achse drehte und nicht nur das Gleichgewicht zu verlieren drohte, sondern sich auch unabsichtlich aus Olowskis Griff wand. Der Meteorologe musste ihn wohl oder übel loslassen und stieß einen deftigen Fluch aus.
    Dirk ruderte wild mit den Armen, gewann die Balance im letzten Moment wieder … und starrte nach oben.
    Das, was er sah, war derart bizarr, erschreckend und zugleich beeindruckend, dass er beinahe den erneut aufgeflammten Schmerz in seiner rechten Hand vergaß.
    Der Sturm war nicht zurückgekehrt, um sein Vernichtungswerk zu vollenden, denn das hatte er gar nicht nötig. Es sah aus, als würde das strahlend helle Licht der Morgensonne den Felsen auflösen, als würde es sich von den Rändern der entstandenen Risse und Löcher aus weiterfressen und das Gestein in seiner Substanz angreifen. In Wirklichkeit war es aber wohl eher so, dass erst die Sonnenstrahlen das volle Ausmaß und den beharrlichen Fortschritt der Zerstörung enthüllten. Um jeden Spalt flirrten Staub und Abrieb und verdichteten sich zu einer Wolke, aus der beständig große und kleine Gesteinssplitter herabregneten – zunächst nur an einigen Stellen, aber Dirk fürchtete, dass dies bald überall der Fall sein würde.
    Olowski zerrte wieder an seinem Arm. »Wir müssen weg!«, schrie er. »Nun kommen Sie schon!«
    Dirk schüttelte den Kopf wie ein eigensinniges Kind, das den wohlmeinenden Rat eines Erwachsenen ignoriert und stoisch einer Gerölllawine entgegensieht, als wolle es das Schicksal mit aller Gewalt herausfordern.
    »Sehen Sie doch!« Er deutete mit seiner verletzten Hand nach oben. »Da ist nicht die Spur eines Windstoßes zu sehen. Es ist vollkommen ruhig!«
    »Bis auf die Tatsache, dass gleich die ganze Grotte in sich zusammenstürzen wird.« Olowskis Stimme überschlug sich fast. »Nun machen Sie schon!«
    Plötzlich registrierte Dirk über sich eine Bewegung, die anders war als das Rieseln und Splittern bisher. Ein Riss bildete sich im Zentrum des natürlichen Gewölbes, wurde rasch fingerbreit und bekam gezackte Ausläufer, die wie winzige Blitze durch das zusammengepresste Gestein zuckten.
    Olowski versetzte ihm einen Stoß. »Weg hier!«, rief er.
    Diesmal reagierte Dirk, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er wirbelte herum. Seine Beine schienen sich wie von selbst in Bewegung zu setzen. Das, was er da oben gesehen hatte, sprach seine eigene Sprache, genauso wie das dumpfe Ächzen und Stöhnen, das durch den Felsen ging und schon allzu bald von helleren, knirschenden Lauten zu einer Sinfonie des Schreckens ergänzt wurde. Gesteinsbrocken brachen aus der Decke und prallten mit Schlägen so hart wie Gewehrkugeln auf den Boden, zuerst nur vereinzelt, dann in immer rascherer Folge, wie in einem bizarren Rhythmus. Etwas traf Dirk an der Schulter, ein Splitter schrammte über seine Wange.
    Es passierte genau das, was Olowski angekündigt hatte, und zwar mit aberwitziger Geschwindigkeit. Dirk lief längst nicht mehr, er spurtete,

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