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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne. Sein rechter Arm pendelte nutzlos an seiner Seite, doch die Schmerzen waren erstaunlicherweise weitgehend abgeklungen – wenn man von gelegentlichen kurzen Schüben absah, bei denen er sich fühlte, als würde man ihm einen elektrischen Schlag verpassen und gleichzeitig eine brennende Zigarette auf seiner nackten Haut ausdrücken.
    Olowski war inzwischen in die Hocke gegangen. Er hob einen Splitter auf und hielt ihn ins Licht. »Der war gerade noch da oben«, sagte er, ohne auf Dirks Frage einzugehen. »Und wenn wir Pech haben, kommen seine Brüder und Schwestern gleich hinterher.«
    »Dann sollten wir machen, dass wir schnell hier durchkommen«, sagte Lubaya und lief los.
    Ihre Bewegungen waren eine Mischung aus purer Kraft und einer katzengleichen Eleganz, die Dirk einer Frau mit ihrer Statur kaum zugetraut hätte. Ohne langsamer zu werden, wich sie einem gewaltigen Felsbrocken aus und hielt auf den etwas tiefer liegenden Ausgang der Grotte zu.
    Dirk und Olowski beeilten sich, ihr zu folgen. Sie hatte vollkommen recht, es brachte nichts, wenn sie hier herumstanden und darauf warteten, dass ihnen ein paar hundert Tonnen Gestein auf den Kopf fielen. Nichtsdestotrotz fragte sich Dirk, ob es wirklich eine gute Idee war, diese Grotte zu durchqueren, denn er benötigte all seine Konzentration, um nicht ständig gegen Felsbrocken zu stoßen oder über einen der vielen tückischen Splitter zu stolpern, die sich ihm wie Nadeln entgegenreckten.
    Es wurde zu einem Hindernislauf unter erschwerten Bedingungen. Die Lichtverhältnisse waren äußerst schwierig: Hell erleuchtete, aber eng begrenzte Stellen und Halbdunkel lösten einander in ständigem Wechsel ab, und einige der größeren Steintrümmer warfen schwarze Schatten, die das Licht vollkommen aufsaugten. Dirk folgte der Spur, die Lubayas Füße in dem Staub und Dreck hinterließen, der sich wie eine feine Puderschicht auf jede freie Stelle gelegt hatte und zudem auch noch in der Luft hing und ihm das Atmen erschwerte.
    Obwohl der Hindernislauf seine ganze Aufmerksamkeit forderte, sah Dirk unentwegt Kinahs Gesicht vor sich, so, wie es Olowski in seinem Notebook mit einem Schnappschuss eingefroren hatte – ein gehetzt wirkendes Gesicht, das trotz der pixeligen Darstellung einen Eindruck davon vermittelte, in welch aussichtsloser Lage sie sich befinden musste. Sie hatte in seine Richtung gestarrt, als wüsste sie, dass er sie beobachtete. Ihr Blick war voller Verzweiflung, ein stummer Hilferuf, der ihn getroffen hatte wie ein Faustschlag in die Magengrube. Er war Lubayas Hand ausgewichen, gerade als diese den altertümlichen Rasierpinsel noch einmal in den Tiegel mit der stinkenden Tinktur getaucht hatte, um ihm das angedeihen zu lassen, was sie Heilung nannte und was doch erst einmal fürchterliche Schmerzwellen durch seinen Körper jagte. Dann hatte er sich hochgerappelt und an die Felswand gelehnt, keuchend vor Schmerz und dem Verlangen, Kinah in die Arme zu schließen, ihr beizustehen gegen das, was sie in Schrecken versetzte. Als Olowski ihm angeboten hatte, ihn zu stützen, hatte er zunächst abwehren wollen.
    Aber dann hatte er die Hilfe angenommen. Seine Frau war wichtiger als sein Stolz.
    Zu seinem Unmut hatte Olowski sein Angebot jedoch nicht gleich in die Tat umgesetzt, sondern gemeinsam mit Lubaya hastig ein paar Sachen zusammengesucht und in zwei Umhängetaschen verstaut. Dirk wäre allein losgegangen, wenn er es vermocht hätte; viel zu groß waren seine Ungeduld und seine Sehnsucht nach der Frau, die er schon seit drei Jahren so schmerzlich vermisste. Nachdem Olowski auch sein Notebook in die Tasche gequetscht hatte, waren sie endlich aufgebrochen. Dirk hatte sich auf den hageren Meteorologen gestützt, und seine ersten Schritte waren noch sehr mühsam und wackelig gewesen, dann aber war er erstaunlich schnell sicherer geworden, bis er schließlich gar nicht mehr Olowskis Hilfe benötigt hatte, um Lubaya durch das Labyrinth aus schmalen Gängen und Grotten zu folgen, durch das sie sie führte.
    Doch während der Schmerz in seinem Arm immer weiter abklang, nahm der in seiner Seele zu.
    Es hätte Kinahs Gesichtsausdruck gar nicht bedurft, um ihn voranzutreiben. Es genügte allein das Wissen, dass sie irgendwo hier war und vielleicht dringend Hilfe brauchte. Biermann, Janette, Rastalocke – die drei Menschen, ohne deren tatkräftige Unterstützung er nie hierher gelangt wäre, waren ihm vollkommen gleichgültig

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