Sturm über der Wüste
hatte trotz allem noch immer Lust auf eine saftige Prügelei.
Dafür übernahm Jesse nun die Rolle des Diplomaten. Er hob beide Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Sieh mal“, erklärte er Carrie, „Keegan ist einfach ein bisschen gestresst, das ist alles. Wir sind vernünftig, versprochen.“
„Wer’s glaubt, wird selig“, entgegnete Carrie. Aber sie wirkte nicht mehr ganz so verärgert. Das war der Zauber von Jesse McKettrick. „Wenn ich euretwegen noch einmal hier rauskommen muss, werdet ihr es bereuen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und spazierte wieder hinein.
Molly zögerte einen Moment, dann straffte sie die Schultern und marschierte auf die beiden Männer zu. In sicherer Entfernung blieb sie stehen und schwieg.
Nach wie vor war Keegan sich Mollys Gegenwart überdeutlich bewusst. Er hoffte, sie würde endlich verschwinden und wünschte zugleich, dass sie blieb, wo sie war. „Du kannst jetzt wieder nach Hause fahren“, erklärte er Jesse.
„Ich fahre nirgendwohin, bevor ich nicht weiß, wie es Psyche geht.“ Jesse lehnte sich wieder an seinen Truck, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich frage mich …“, begann Molly, brach aber gleich wieder ab.
„ Was fragen Sie sich, Ms. Shields?“, zischte Keegan.
Jesse richtete sich ein wenig auf, er war schließlich ein Gentleman, aber gleichzeitig auch klug genug, um sich nicht einzumischen.
Molly reckte das Kinn. „Ich … ich frage mich, ob Sie mit Psyche nach Flagstaff fahren. Sie sollte jetzt nicht allein sein, aber Lucas und Florence sind zu Hause und ich sollte zu ihnen.“
Da stieß Jesse sich von seinem Auto ab. Nachdem er Keegan mit einem Blick zum Schweigen gebracht hatte, wandte er sich an Molly. „Gehen Sie nur. Florence und der Junge brauchen Sie vielleicht. Keegan und ich werden hinter dem Notarztwagen herfahren. Wenn irgendetwas geschieht, lassen wir es Sie sofort wissen.“
Beschämt bemerkte Keegan, dass Mollys Augen sich mit Tränen füllten. „Danke“, sagte sie zu Jesse.
Bevor sie ging, warf sie Keegan einen Blick zu, den er nicht deuten konnte, dann stieg sie in Florence’ alten Wagen und fuhr davon.
„Du bist wirklich ein mieser Kerl, weißt du das?“, fuhr Jesse ihn an, während er Molly hinterhersah.
„Heirate sie.“
Keegan, der die Nacht in einem Stuhl neben Psyches Bett verbracht hatte, setzte sich gerade auf und blinzelte.
Psyche betrachtete ihn, sie war so weiß wie die Bettwäsche. Die Beatmungsmaschine machte merkwürdige Geräusche, verschiedene Monitore piepten.
Er rang sich ein Lächeln ab. „Ich hätte schwören können, dass du gesagt hast …“
„Heirate sie“, widerholte Psyche.
„Nein“, stieß Keegan hervor, nachdem er eine Weile vergeblich nach einem höflicheren Wort gesucht hatte.
„Nicht einmal, wenn es mein letzter Wunsch ist?“
„Komm schon, Psyche, das ist nicht fair.“
„Warum sollte ich fair sein? Ich liege im Sterben.“ Sie ergriff seine Hand und drückte sie überraschend fest. „Ich bin nicht mehr lange da, Keeg“, flüsterte sie. „Es geht um die Zukunft meines Sohnes. Lucas braucht eine Mutter und einen Vater.“
„Ich liebe sie nicht“, behauptete Keegan, überzeugt, das Thema damit zu beenden. Er hätte es besser wissen müssen. Schließlich sprach er mit einer ganz besonderen Spezies. Mit einer Frau.
„Ich habe dich noch nie zuvor so aufgewühlt erlebt.“ Psyche schwieg, dann lächelte sie wehmütig. „Wenn es um Molly geht, weißt du nicht, ob du wegrennen oder sie um den Verstand küssen sollst.“
Genau in diesem Moment trat Jesse mit einem Pappbecher Kaffee ein. Er sah in etwa so schlecht aus, wie Keegan sich fühlte. „So ungern ich dieses faszinierende Gespräch auch unterbreche“, verkündete er leichthin, „aber Florence und Molly sind hier. Sie haben Lucas mitgebracht.“
Psyches Gesicht erhellte sich, sie warf Keegan einen flehenden Blick zu.
Sekunden später trat Molly ein, mit Lucas auf dem Arm. Florence folgte ihr.
„Mein Baby“, wisperte Psyche und streckte die Arme nach Lucas aus. Keegan musste den Blick abwenden.
„Besorgen wir dir auch einen Kaffee“, meinte Jesse und dirigierte ihn hinaus auf den Flur Richtung Aufzug.
Neben der Apotheke gab es ein Café. Keegan bestellte einen Becher Kaffee, dann setzten sie sich in die Sonne vor einen kleinen Springbrunnen. Abgesehen von einem runzeligen alten Mann in einem Rollstuhl, der eine gefaltete Zeitung umklammerte und mit einem unsichtbaren Begleiter
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