Sturm über Hatton Manor
Augen. Nur er wusste, was er durchgemacht hatte, als er nach einer Besprechung in London aus einer Eingebung heraus vorzeitig nach Hause zurückgekehrt war und seinen Patenonkel im Arbeitszimmer auf dem Boden liegen sah. Faith kniete über ihm, seine Brieftasche in der Hand, und wirkte schuldbewusst und wütend zugleich, als er sich an den Mädchen vorbeidrängte, die um sie herumstanden.
Erst zwei Stunden später konnte die Polizei seine Anzeige aufnehmen, da die Mädchen alle minderjährig waren und die Anwesenheit ihrer Eltern oder eines anderen Schutzbefohlenen erforderlich war. Und während er auf der Wache wartete, drückte der Sergeant sein Mitgefühl aus und riet ihm, sich keine Vorwürfe zu machen.
“Diese jungen Diebinnen … manchmal hat man den Eindruck, sie können kein Wässerchen trüben”, tröstete er ihn. “Aber wir lernen sie von ihrer anderen Seite kennen, und sie können genauso gewalttätig sein wie die Jungen in ihrem Alter, wenn nicht sogar noch mehr.”
“Aber mein Patenonkel liebt Faith”, protestierte Nash, immer noch unfähig zu glauben, was passiert war. “Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass sie ihm so etwas antun konnte.”
Was er damit wirklich meinte, war, dass er Faith auch liebte und beim besten Willen nicht fassen konnte, wie sie ihm so etwas hatte antun können, nachdem er sich sogar eine gemeinsame Zukunft ausgemalt hatte.
“Es überrascht Sie vielleicht”, erwiderte der Sergeant finster, “aber den Angaben der anderen zufolge ist sie die Anführerin. Sie hat ihre Freundinnen dazu angestiftet. Sie sagten, sie habe den Sommer in Hatton verbracht?”
“Ja”, bestätigte Nash benommen. “Die Heimkinder hatten einen Ausflug dorthin gemacht, und mein Patenonkel hatte Faith eingeladen, zu bleiben. Er hatte Mitleid mit ihr. Ihre Mutter …”
Der Sergeant atmete scharf ein und schüttelte den Kopf. “Dieses Heim hat keinen guten Ruf. Es hat schon mehrere Beschwerden gegeben, dass die Mädchen in den Geschäften im Ort stehlen. Sie gehen immer in einer Gruppe hin …” Er verstummte, als die Heimleiterin und die Polizistin, die die Mädchen verhörte, in den Warteraum kamen.
Nash sprang auf und eilte auf die beiden zu. “Faith …? Hat sie …? Ist sie …?”, begann er verzweifelt.
“Sie weigert sich immer noch zuzugeben, dass sie an der Sache beteiligt war”, erwiderte die Heimleiterin resigniert. “Ehrlich gesagt, hätte ich auch nie gedacht … Aber sie ist ein sehr intelligentes Mädchen, und manchmal sind es gerade die … Sie haben so viel geistiges Potenzial und wissen nicht, wohin damit. Während sie bei Ihrem Patenonkel gewohnt hat, ist ihr sicher klar geworden, welche Möglichkeiten sich dort bieten. Ich schätze, die Versuchung war einfach zu groß für sie, vor allem in Anbetracht ihrer Situation. Ihre Mutter ist schon lange krank, und es geht ihnen finanziell nicht gut … Kinder, die in solchen Verhältnissen leben, entwickeln oft einen gefährlichen Groll.”
Die Heimleiterin senkte den Blick und fuhr unbehaglich fort: “Sie möchte Sie sehen. Sie sagt …” Unvermittelt verstummte sie. “Sie behauptet, die anderen Mädchen hätten sie unter Druck gesetzt, und sie hätte Ihren Patenonkel nur schützen wollen. Die anderen Mädchen bleiben aber dabei, dass
sie
diejenige war, die alles geplant hat, und ich muss zugeben, dass es plausibel klingt.”
“Ich möchte sie nicht sehen”, hatte er sofort erklärt, weil er wusste, dass er den Anblick, der sich ihm geboten hatte, als er Philips Arbeitszimmer betrat, niemals vergessen würde. Die Telefonleitung war durchtrennt worden, doch zum Glück hatte er damals bereits ein Mobiltelefon besessen und es auch dabeigehabt. Er hatte es nur gekauft, weil er noch kein richtiges Büro hatte.
Nachdem er sich und die Mädchen im Arbeitszimmer eingesperrt hatte, hatte er sofort den Notarzt verständigt. Eine von ihnen hatte sogar ein Messer gezückt, aber er hatte es ihr entwendet. Während die anderen ihn beschimpften und bedrohten, schwieg Faith beharrlich. Erst als Philip sich auf dem Weg ins Krankenhaus befand und die Polizei die anderen Mädchen in Gewahrsam nahm, brach sie ihr Schweigen.
Aschfahl vor Angst, blickte sie zwischen den Polizisten und ihm hin und her, flehte ihn an, er möge ihr zuhören und ihr glauben, dass sie nichts mit dem Vorfall zu tun hatte.
“Du hattest Philips Brieftasche in der Hand”, erinnerte er sie grimmig.
“Ich wollte ihm doch nur
helfen”
, protestierte
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