Sturm über Hatton Manor
war zwar hochgeschlossen, aber ärmellos und reichte nur bis zu den Knien. Für den Fall, dass es später kühl werden sollte, legte sie einen roten Pashminaschal um, den sie spontan im Schlussverkauf erstanden hatte. Vorsichtig strich sie über den weichen Stoff. Sie fühlte sich sehr weiblich und extravagant. Ihrer Mutter hätte er gefallen. Nach kurzem Zögern öffnete sie ihre Schmuckschatulle und nahm die kleinen goldenen Ohrstecker heraus, die sie zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte.
Faith erinnerte sich noch gut daran, wie verblüfft und sprachlos vor Freude sie gewesen war, als sie das Päckchen geöffnet und die beiliegende Karte gelesen hatte.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem einundzwanzigsten Geburtstag und zu Ihren hervorragenden akademischen Leistungen
, hatte darauf gestanden, und statt einer Unterschrift folgte in Druckbuchstaben:
Die Nachlassverwaltung von Philip Hatton
.
In ihren Augen schimmerten Tränen, als Faith die Ohrstecker anlegte. Jene Geste der anonymen Treuhänder hatte ihr so viel bedeutet, und sie wusste noch, wie aufregend es für sie gewesen war, sie zum ersten Mal zu tragen, als sie mit ihren Kommilitonen ausging, um ihren Geburtstag zu feiern.
Robert wartete in der Eingangshalle auf sie und lächelte sie bewundernd an, als sie die Treppe hinunterging. Obwohl er nicht so sinnlich wirkte wie Nash, war er ein sehr attraktiver Mann – ein netter Mann, wie ihr bewusst wurde, als sie sein Lächeln erwiderte.
“Schwarz steht dir”, bemerkte er, als sie vor ihm stand. “Du siehst gut aus.”
Aus den Augenwinkeln sah sie Nash aus dem Wohnzimmer kommen. Obwohl er sich nichts anmerken ließ, wusste sie, dass er Roberts Kompliment gehört haben musste. Roberts Verhalten ihr gegenüber bewies, dass Nash ihm noch nichts über ihre Vergangenheit – oder vielmehr seine Sichtweise – erzählt hatte. Doch er würde es zweifellos bald tun, und das bedeutete, dass sie es Robert zuerst erzählen musste. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Die damaligen Ereignisse und ihre daraus resultierenden Schamgefühle würden immer einen Schatten auf ihr Leben werfen, und sie mochte gar nicht daran denken, wie es ihr gehen würde, wenn alles wieder an die Oberfläche kam.
Das Restaurant, in das Robert sie ausführte, war sehr exklusiv und so gut besucht, dass man sich unmöglich über intime Dinge unterhalten konnte. Robert warf ihr einen bedauernden Blick zu, als ein Ober sie zu ihrem Tisch führte.
“Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viel los ist. Ich hatte Nash gefragt, ob er mir ein Restaurant empfehlen kann, aber offenbar hat er mich falsch verstanden.”
Dass er Nash erwähnte, war für Faith der Aufhänger, den sie gebraucht hatte. “Weißt du, wie lange Nash noch in Hatton bleiben will?”, erkundigte sie sich zögernd. “Nun, da das Haus in den Besitz der Stiftung übergegangen ist, ist seine Anwesenheit doch eigentlich nicht mehr erforderlich.”
Es sei denn, er will mir das Leben schwermachen, fügte sie im Stillen hinzu.
“Na ja, momentan sind die Treuhänder – oder vielmehr Nash, denn er ist der
einzige
Treuhänder des Anwesens … Was ist los?”, erkundigte Robert sich besorgt, als sie einen entsetzten Laut ausstieß.
“Nash ist der einzige Treuhänder?”, wiederholte sie.
“Oh ja”, bestätigte er. “Und es war seine Idee, sich mit der Stiftung in Verbindung zu setzen. Offenbar liegt im das Schicksal von Kindern aus schwierigen Verhältnissen sehr am Herzen, aber seinen eigenen Worten zufolge möchte er sich vergewissern, dass er die richtige Wahl getroffen hat, bevor er uns Hatton offiziell übergibt. Und ich muss zugeben, dass es mich sehr treffen würde, wenn wir es jetzt wieder verlieren würden. Ich war sehr stolz darauf, den anderen Vorstandsmitgliedern sagen zu können, dass ich Hatton für die Stiftung bekommen konnte.” Er lächelte zerknirscht. “Die meisten kannten mich schon, als ich noch ein Schuljunge war, und leider neigen sie immer noch dazu, mich auch so zu behandeln.
Ich verlasse mich darauf, dass du Nash mit deinen Plänen beeindruckst, Faith. Ich habe viel Gutes über deine Arbeit gehört, und mir ist auch klar, warum.”
Jedes Wort, das er sagte, verstärkte ihre Angst. Benommen fragte sich Faith, wie lange Nash bereits der einzige Treuhänder des Anwesens war. Er konnte es noch nicht lange sein.
“Ich habe Nash übrigens erzählt, dass du dir Sorgen wegen der Ziergegenstände im Garten machst”, fuhr Robert fort. “Ich
Weitere Kostenlose Bücher