Sturm ueber Hatton Manor
Sie wusste nur, dass sie es tat.
Faith blickte sich noch einmal in ihrem Zimmer um. Ja, alles war gepackt – nicht, dass sie viele Sachen hatte. Ihr Hochzeitsoutfit hatte sie wieder sorgfältig in den Kleidersack und in die Kartons gepackt, und Nash konnte damit machen, was er wollte. Wenn man nach seiner Stimmung am gestrigen Tag gehen konnte, würde er es vermutlich an einer Puppe, die ihr ähnlich sah, auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ihre Unterlagen befanden sich in ihrer Aktenmappe, und sie würde sie Robert aushändigen. Nun musste sie nur noch eins erledigen.
Vorsichtig nahm sie ihren Ehering ab und tat ihn in das Kästchen, in dem sich ihre Ohrringe befanden.
Nash hatte das Haus schon vor einer Weile verlassen. Sie hatte keine Ahnung, wohin er gefahren war, und war nur froh darüber, dass sie ihm nicht begegnen musste. So würde sie sich wenigstens einen würdigen Abgang verschaffen können, ohne zusammenzubrechen und zu weinen und ihn anzuflehen, so wie sie es damals getan hatte.
Faith runzelte die Stirn, als sie das kleine Schmuckkästchen schloss. Sie hatte ihren Verlobungsring immer noch nicht gefunden. Vielleicht hatte Mrs. Jenson ihn beim Saubermachen entdeckt. Langsam ging Faith nach unten in die Küche.
Grimmig betrachtete Nash das Gebäude, vor dem er stand. Es war mittlerweile verfallen und eher eine Belastung für die Stadt, der es gehörte. Die Fensterscheiben waren zerbrochen und der Garten völlig verwildert. Für ihn war es immer ein trostloser Anblick gewesen, und Faith hatte ihm leidgetan, weil sie dort wohnen musste. Ein Kinderheim! Wie ein Heim sah es wirklich nicht aus.
Er hatte keine Ahnung, warum er hierhergekommen war, welche Antworten er hier zu finden gehofft hatte. Welche Antworten gab es überhaupt? Wie konnte er eine Frau lieben, die ihn dazu brachte, sich deswegen zu verachten? Am Grab seines Patenonkels hatte er mit diesem stumme Zwiesprache gehalten und ihm erzählt, Faith sei jung gewesen und habe unter schlechtem Einfluss gestanden. Er würde ihre Tat zwar nie vergessen, aber mit der Vergangenheit abschließen und ihr verzeihen, damit sie beide noch einmal von vorn anfangen konnten – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie vielleicht ein Kind gezeugt hatten. Und dann hatte er zufällig ihr Gespräch mit Ferndown belauscht! Wieder einmal hatte sie sich mit ihrem Verhalten ins Abseits befördert.
Der Ausdruck in seinen Augen war traurig, als Nash sich umdrehte und zu seinem Wagen zurückkehrte.
“Mrs. Jenson, ich würde gern mit Ihnen …” Faith verstummte und blieb wie erstarrt stehen, als sie die Frau sah, die neben der Haushälterin stand. “Charlene”, flüsterte sie ungläubig.
“Tante Em hat mir erzählt, dass du hier aufgetaucht bist.” Die junge Frau lächelte süffisant. “Das ist ein Ding, was? Wer hätte das gedacht, nach allem, was du getan hast. Manche Leute sind wirklich dreist … Warte nur, bis sich in der Stadt rumspricht, dass hier eine Mörderin wohnt …”
Jetzt reichte es Faith. “Das ist nicht wahr”, entgegnete sie schnell. “Du weißt ganz genau, dass ich nichts mit alldem zu tun hatte. Du hattest es mit deiner Clique ausgeheckt. Ihr habt gelogen und mir die Schuld in die Schuhe geschoben … Ihr habt mich darin verwickelt, als ich versucht habe, Philip zu beschützen.”
Einen Moment lang war sie vor Entsetzen wie gelähmt, weil die Erinnerungen sie überwältigten. Und sie stand unter Schock, weil sie hier, in der Küche von Hatton House, plötzlich der Person gegenüberstand, die für den Einbruch verantwortlich gewesen war, der Person, die Philip bedroht hatte. Sie zuckte zusammen, als die Frau, die sie als Charlene Jenks kannte, höhnisch lachte.
“Du hast es doch herausgefordert, du Tugendbolzen. Du hast Gerüchte über uns in die Welt gesetzt und wolltest uns Probleme machen. Du hast es nicht anders verdient”, fügte sie boshaft hinzu und musterte sie verschlagen. “Ich sehe immer noch dein Gesicht vor mir, als die Polizei uns abgeführt hat. ‘Nash, bitte lass nicht zu, dass sie mich mitnehmen’“, äffte sie sie nach. “‘Nash, du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich Philip etwas tun würde …’
Aber er hat es geglaubt, und warum hätte er es auch nicht tun sollen? Du hast es uns wirklich einfach gemacht. Sie haben dich auf frischer Tat mit der Brieftasche des alten Knackers in der Hand ertappt. Wir haben ausgesagt, dass wir nur deine Anweisungen befolgt haben. Dass du alles geplant hattest.
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