Sturm ueber Thedra
Reise ließ der Kapitän in Sichteite der Küste die Segel reffen und die Kao-lad trieb unter der milden Nachmittagssonne träge im Wind. "Bei günstigem Wind ist es nur noch ein halber Tag bis Isco", erklärte er den Passagieren. "und ich kann nicht bei Nacht dort einlaufen."
"Wieso nicht?" Acon war seit der Opferfehde der geschworene Feind des Kapitäns. Jetzt sah er eine Gelegenheit aufzubegehren. "Mit Harmugeds Hilfe werden wir den Hafen auch in der Dunkelheit finden. Wir waren lange genug auf See!"
Beifälliges Gemurmel erhob sich unter den Pilgern.
"Leider kann ich euch den Gefallen nicht tun, obgleich auch ich meine, lange genug auf See gewesen zu sein", antwortete der Kapitän. "Allerdings wundert es mich doch sehr, dass weitgereiste Leute, die ihr Pilger doch seid, nicht wissen, dass die Einfahrt zum Hafen der Kaiserstadt jede Nacht mit einer bronzenen Kette versperrt wird. Wollt ihr Pilger wirklich, dass ich die Kao-lad bei Dunkelheit in diese Sperre treibe, damit alles auf Deck ein leichtes Ziel für die kaiserlichen Bogenschützen wird?"
"Ach!" Unwillig wandte sich der Pilger unter dem Gelächter der Umstehenden ab.
"Kommt", wurden Tana, Gerit und Teri von Bgobo eingeladen. "Lasst uns ein letztes Mal zusammen essen."
Gern folgten die drei der Aufforderung. Die gut gewürzten Speisen der Kraan hatten ihnen immer hervorragend gemundet.
Auf See hatte Aska an so manchem Tag nichts kochen können, weil Wind und Dünung zu stark gewesen waren. Heute lag das Schiff aber ruhig auf dem glatten Wasser, und so brodelte nun wieder ein köstliches Mahl in dem großen Topf über dem Holzkohlebecken.
Seltsam ruhig verlief dieses letzte gemeinsame Essen. Die fröhliche Stimmung, die sonst immer an der Tafel der Artisten geherrscht hatte, war einer stillen Melancholie gewichen, die sich sacht auf alle Anwesenden ausbreitete. Die Reisegesellschaft würde morgen auseinandergehen.
Viele Tage waren sie auf der Kao-lad zusammengewesen, hatten gemeinsam die Seekrankheit und die Gefahr der Finder ausgestanden, hatten sich gegenseitig geholfen, wo immer es ging, aber das würde morgen vorbei sein. Jeder würde seiner Wege gehen: Die Kraan wollten in die Steppe hinter der Wüste, heim nach Wajir, wo Bgobo wirklich ein Prinz war, wie er oft und gern versicherte. Dort würden die jungen Frauen Kinder bekommen und zu wirklichen Frauen werden. Dadurch würden auch sie die Kraft der Stimme erhalten, die ihnen Macht über andere Menschen verlieh. Damit sei dann auch ihre Reisezeit beendet, erklärte Bgobo. Nur wenigen Müttern war es erlaubt, die Gruppen der Artisten auf ihren Reisen zu begleiten.
Teri dagegen würde mit ihrer Familie auf einem Löwenboot weiterfahren, nach Tigan. Mit jedem Tag würde der Abstand zwischen den beiden Gruppen größer werden und es war gewiß, dass man sich nie mehr wiedersah.
Zum Schluß nahm Bgobo Teri beiseite. "Meine Mutter hat mich gebeten, dir etwas auszurichten. - Sie ist eine Kraan, sie versteht sich nicht aufs Bitten. - Teri, du hast einige Lieder der Kraan gelernt, und wenn du erst eine wirkliche Frau bist, wirst du sie auch anwenden können. - Wenn du alt genug bist, allein zu reisen, komm nach Wajir. Wann immer du dich dazu entschließt, du wirst erwartet! Du bist würdig, das ganze Wissen der Kraan zu erwerben. Die weisen Frauen werden dir noch vieles beibringen. Dann wirst du eine mächtige Sängerin sein. Mächtiger als alle Heere des Kontinents. Mächtiger als alle Frauen der Kraan. - Die mächtigste Sängerin des Zeitalters!"
Teri stand wie versteinert da. Zwar hatte sie schon gespürt, dass die Lieder der Kraan Einfluß auf die Seelen der Menschen hatten, aber dass es sich dabei um erlerntes Wissen handelte, war ihr dabei nicht in den Sinn gekommen. Sie hatte eher gedacht, das sei eine Sache des Gefühls gewesen.
Auf einmal fiel ihr alles wieder ein: Wie Aska mit ihren Liedern immer wieder unmerklich Gefühle und Willen der Zuhörer gelenkt hatte. Wie sie Schaden abgewendet und das Gute gefördert hatte. Wie sie mit unwiderstehlichen Gesängen die Menschen nach Belieben führte. - Und diese Kunst sollte sie, Teri, erlernen dürfen?
"Ich werde kommen!" Teri sah Bgobo fest in die Augen - und noch einmal, diesmal zu Aska gewandt: "Ich werde kommen!"
Wenig später machten alle auf Deck sich für die letzte Nacht auf der Kao-lad zurecht. Aska war zufrieden. Zwar hatte sie auf der Fahrt zwei ihrer ungeheuer wertvollen stählernen Klingen, zusammen mit den Wurfhölzern,
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