Sturm
Sänfte zu schmal.«
Craymorus griff nach seinen Krücken. »Ist es weit?«
»Nein, Herr, nur ein paar Schritte.«
Sie half ihm aus der Sänfte. Vier Soldaten der Ehrengarde blieben daneben stehen, wahrscheinlich um zu verhindern, dass sie gestohlen wurde. Die anderen vier folgten Craymorus in die Gasse. Die Hütten standen hier so dicht, dass sie in einer Reihe hintereinander gehen mussten. Es gab keine Fenster, nur einige schief sitzende Türen in Bretterverschlägen.
»Diese Frau, zu der wir gehen«, sagte Craymorus, »wer ist sie?«
Mellie drehte den Kopf zu ihm. »Meine Tante. Sie kannte jemanden, die viele Jahre lang Fürstin Syrahs Zofe war. Sie hat viele Geschichten zu erzählen.« Mellie zeigte auf ein dunkles Loch hinter einem Vorhang aus Lumpen. »Hier ist es.«
Sie schob den Vorhang zur Seite. Craymorus tastete sich mit seinen Krücken vor. Der Boden bestand aus festgetretenem Lehm, auf dem jemand Stroh ausgebreitet hatte. Es raschelte bei jedem Schritt.
Die Ehrengarde wollte ihm folgen, aber er hielt sie mit einem Kopfschütteln zurück. »Wartet draußen.«
»Ja, Herr«, sagte der Kommandant.
Mellie folgte Craymorus in die Hütte. Der Vorhang fiel hinter ihr zu und tauchte das Innere in Dunkelheit. Licht fiel durch Risse in den Brettern auf den Boden, zeichnete ein Muster aus dünnen weißen Strichen.
»Tante Eani?«, fragte Mellie.
Ein Schatten bewegte sich. »Mellie, den Göttern sei Dank. Ich dachte schon, es wären Diebe.«
Craymorus fragte sich, was ein Dieb wohl in diesem Verschlag stehlen sollte. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Der Raum, in dem er stand, war klein. Es gab einen Tisch, auf dem ein Holznapf stand, und einen Hocker davor. An der hinteren Wand lagen ein paar Decken auf dem Stroh. Eine alte, in Lumpen gehüllte Frau saß darauf. Sie hatte die Arme ausgestreckt und ließ sich von Mellie aufhelfen. Craymorus vermutete, dass sie blind war.
»Ich habe einen Gast mitgebracht, Tante Eani. Sein Name ist Craymorus Ephardus, er ist ein Gast des Fürsten.«
»Herr.« Die alte Zofe versuchte sich zu verbeugen und wäre umgefallen, wenn Mellie sie nicht gehalten hätte.
»Ich danke dir für deine Gastfreundschaft«, sagte Craymorus. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Mellie führte ihre Tante zu dem Hocker. Die alte Frau setzte sich, tastete nach dem Napf und trank daraus.
»Ich weiß, weshalb Ihr hier seid«, sagte sie, als sie ihn wieder absetzte. »Mellie hat mir davon erzählt.«
»Ich …«, begann Craymorus, aber Eani redete weiter. »Meine Schwester hat das nie getan, wisst Ihr? Die anderen Zofen haben die Geheimnisse, die sie hörten, verkauft und leben jetzt oben in den Hügeln in Steinhäusern wie reiche Leute. Aber nicht sie. Sie teilte ihre Geheimnisse nur mit mir. Und wo hat sie das hingebracht?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre blinden weißen Augen blickten in Craymorus' Richtung. »Ihr wollt Rickard helfen, seine Verlobte zu finden?«
»Ja.«
»Ein netter Junge. Seine Mutter wollte immer zu viel von ihm. Nichts, was er tat, war gut genug. Deshalb hat Fürst Balderick ihn auf seine Feldzüge mitgenommen, wusstet Ihr das?«
»Das wusste ich nicht«, sagte Craymorus. Seine Beine begannen zu schmerzen.
»Aber deswegen ist er auch nicht hier, Tante Eani.« Mellie legte ihr die Hand auf die Schulter. »Erzähl ihm von dem General.«
Die alte Frau zögerte. Ihre Hände tasteten nach dem Napf und begannen ihn zu drehen. Es fiel ihr sichtlich schwer, einem Fremden etwas zu verraten, was sie so viele Jahre lang geheim gehalten hatte. Craymorus sagte nichts. Je weniger sie an seine Anwesenheit dachte, desto leichter würde es ihr fallen. Sie hatte Mellie schließlich schon einmal verraten, was damals geschehen war.
»Es begann während des Krieges«, sagte Eani. »Es waren schwere Zeiten, sogar in Westfall. Meine Schwester, Mellies Mutter, war einige Jahre zuvor mit der Fürstin hierhergekommen, als sie den Fürsten heiratete. Die Fürstin war unglücklich und allein, und der General war« – sie zögerte – »da. Er war in der Schlacht vom Krähenhügel verwundet worden und erholte sich in der Festung. Er war galant, klug, war gebildet, so viele Dinge, die der Fürst nicht sein konnte oder nicht sein wollte. So fing es an.«
»Die Fürstin hatte ein Verhältnis mit General Korvellan?« Craymorus vergaß seine Schmerzen.
Eani schüttelte den Kopf. »Es war mehr als das. Meine Schwester sagte mir oft, dass sie füreinander geschaffen worden
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