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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wenigen festen Wände, die sie entdeckte, waren voller Schnitzereien. Sie stellten Fische dar und Seeungeheuer, Kämpfer, die ihre Speere einer Sonne mit gütigem lächelnden Gesicht entgegenstreckten, und Frauen, die Kinder an ihren Brüsten stillten.
    Eine der Wachen öffnete eine kleine Tür und zeigte ins Innere. »Palast«, sagte der Mann.
    Sie gingen durch einen hölzernen, dunklen Tunnel. Es roch nach Harz und Regen. Als sie wieder heraustraten, blieb Ana wie alle anderen überrascht stehen und hob den Kopf. Warmer Nieselregen berührte ihr Gesicht. Sie standen unter freiem Himmel in einem großen, holzgetäfelten Innenraum. Balkone, über die man Baldachine gespannt hatte, hingen wie Wespennester von den Wänden. Es waren Dutzende, vielleicht sogar mehr als einhundert. In einigen saßen Menschen, die anderen waren leer. Ana nahm an, dass sich Räume hinter den Baikonen befanden, denn es gab vom Innenraum aus keine Möglichkeit, nach oben zu gelangen.
    »Wenn das eine Falle wäre, gäbe es kein Entkommen«, sagte Jonan. Sein Blick war auf die Balkone gerichtet, sein Körper wirkte angespannt, so als rechne er jeden Moment damit, sich einem Pfeilhagel in den Weg werfen zu müssen.
    Und das würde er auch tun, dachte Ana, selbst wenn es mir nur einen Atemzug mehr Leben erkaufte.
    »Wieso sollten sie uns umbringen wollen?«, sagte sie. »Sie haben die Vorstellung doch noch gar nicht gesehen.«
    Jonan lachte nicht, aber sie glaubte zu sehen, dass seine Mundwinkel zuckten. Ihr fehlten Daneels Fähigkeiten, ihn zum Lachen zu bringen.
    Ihr Blick kehrte zurück zu den Balkonen. An den Seitenwänden erschien ihre Anordnung willkürlich, aber an der Wand, die dem Eingang gegenüber stand, bildeten sie ein spitzes Dreieck. Hier waren fast alle Balkone mit Männern besetzt, deren Körper rot bemalt waren. Nur der oberste Balkon war leer.
    »Das sind die Priester, durch die Zan Phirku spricht«, sagte Ana. Sie erinnerte sich daran, dass Gerit aus lauter Angst vor ihnen bis in sein Zimmer geflohen war. Er war damals erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen. Sie bereute, dass sie ihn so lange wegen seiner Angst aufgezogen hatte.
    »Der oberste Balkon wird wohl dem Fürsten gehören.« Jonan schüttelte den Kopf und sprach leise weiter. »Das ist zu hoch. Er kann dich nicht erkennen.«
    Er hatte Recht. »Dann werden wir eben mit einem seiner Priester sprechen«, flüsterte Ana. Um sie herum begannen die Gaukler ihre Ausrüstung auszupacken. »Wir brauchen seine Hilfe.«
    »Wessen Hilfe braucht ihr?« Daneel hatte halb verborgen hinter einer Tuchrolle gestanden und drehte sich jetzt zu Ana um. Seine Stimme war freundlich und besorgt. Ana wusste, dass sie ihm alles erzählen konnte, was sie bedrückte.
    »Zan Phirkus …«, begann sie, aber lautes Türenschlagen unterbrach sie. Daneel fuhr herum, Jonan griff nach seinen Klingen. Die Wachen, die sie in den Innenhof gebracht hatten, waren verschwunden, die Tür geschlossen. Die Balkone waren leer, nur die Priester waren geblieben. Sie erhoben sich von ihren Plätzen.
    »Ich bin das Wasser und der Fisch«, sagten die oberen beiden gleichzeitig.
    »Ich bin die Sonne und der Nebel«, fuhren die beiden unter ihnen fort.
    »Ich bin der Baum und der Boden.«
    »Ich bin das Blut und das Fleisch.«
    »Ich bin die Frucht und der Samen.«
    Die Reihe war unten angekommen.
    »Ich bin der Geist und die Tat«, sagten die obersten.
    Schweigen setzte nach ihren Worten ein. Die Gaukler rückten enger zusammen. Jonan stellte sich vor Ana. »Tu genau, was ich sage«, flüsterte er, während Daneel an ihm vorbei nach vorne ging und die Arme ausbreitete.
    »Eure Gastfreundschaft ist im …«
    Die Priester ließen ihn nicht ausreden. Wieder sprachen sie gleichzeitig. »Ich bin das Leben und der Tod.«
    »Das geht nicht gut aus.« Borrum leckte sich über die Lippen. Seine Stimme zitterte, in seinen Augen standen Tränen. »Die wollen uns umbringen, die wollen …«
    Ein Pfeil durchbohrte seinen Hals. Borrum sackte zusammen, blieb zuckend auf dem Holzboden liegen. Jonan presste seine Hand auf Anas Mund, aber sie drehte den Kopf zur Seite. Sie würde nicht schreien. Sie hatte schon andere sterben sehen.
    Qaru berührte Fyramei am Arm und zeigte auf die Seitenwände. Zwischen den Holztafeln ragten Pfeile hervor, dahinter saßen Bogenschützen.
    »Eure Worte werden meine Luft nicht vergiften, eure Lügen und eure Verbrechen meinen Geist nicht durchsetzen. Schweigt und geht fort von hier.«
    Die Tür,

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