Sturm
waren. Die Fürstin tat ihr leid.«
Mellie lächelte und streichelte Eanis Schulter. »Erzähl ihm alles.«
»Die Fürstin wurde schwanger. Als sie es nicht länger verbergen konnte, täuschte sie eine Krankheit ihrer Mutter vor und reiste in ihre Heimat nach Noderland. Meine Schwester war dabei, als ihre Tochter dort geboren wurde.«
Craymorus drehte sich zum Eingang um. Er hoffte, dass die Soldaten draußen das Gespräch nicht mithörten. »Sie ließ das Kind am Leben?«, fragte er leise.
»Ja. Sie sagte dem General, es sei tot geboren worden. Kurz darauf verschwand er.«
»Und das Kind lebt immer noch in Noderland?«
Eani nickte. »Die Fürstin sagte ihrer Mutter, es sei aus einer Nacht mit einem Sklaven entstanden. Das geschieht häufiger, als viele glauben. Eine Zofe erzählte meiner Schwester einmal, ihre Herrin habe mehr Sklavenkinder als eigene in die Welt gesetzt.«
Craymorus sah Mellie an, richtete seine Frage jedoch an Eani. »Was geschah mit deiner Schwester?«
»Sie kam eines Abends nicht mehr nach Hause. Ich hatte sie angefleht, nicht mehr in die Burg zu gehen, aber sie ging trotzdem. Als sie nicht zurückkehrte, nahm ich die kleine Mellie bei der Hand und floh. Ich versteckte mich hier mit ihr. Ich glaube, die Fürstin wusste nicht einmal, dass Cira eine Schwester und eine Tochter hatte. Sie interessierte sich nicht für das Leben ihrer Diener.«
»Sie weiß nicht, dass ich Ciras Tochter bin«, sagte Mellie.
Eanis blinde Augen richteten sich wieder auf Craymorus. »Das ist alles, was ich weiß, Herr.«
»Ich danke dir.«
Mellie küsste sie auf die Wange. »Danke, Tante Eani. Du wirst es nicht bereuen.«
Die alte Frau drehte stumm ihren Napf.
Craymorus atmete tief durch, als er nach draußen trat. Die Ehrengarde nahm Haltung an.
»Geht zurück zur Sänfte«, sagte er ihnen. »Wir kommen gleich nach.«
Einer der Soldaten grinste, als wisse er genau, weshalb ein Herr und seine Zofe allein sein wollten. Craymorus ahnte, dass sich sein Verhältnis mit Mellie längst herumgesprochen hatte.
Die Soldaten verließen die Gasse, ließen ihn und Mellie allein zurück. Er küsste sie.
»Danke«, sagte er. »Es tut mir leid, was mit deiner Mutter geschehen ist, und ich verstehe, weshalb du dich rächen willst, aber ich kann die Fürstin mit diesem Wissen nicht unter Druck setzen.«
Ärger glitt wie ein Schatten über ihr Gesicht. »Warum nicht?«
Er zog sich einige Schritte weiter, wollte darüber nicht in Eanis Nähe reden. »Ein Kind mit einem Nachtschatten zu haben, wäre ihr Todesurteil«, sagte er leise. »Sie würde alles tun, um sich zu schützen, deine Tante töten, ihre eigene Tochter. Rickard würde nicht wollen, dass ich so weit gehe. Es tut mir leid.«
»Dann werden wir Ana von Somerstorm nicht finden und du wirst Rickard enttäuschen.«
»Ich weiß.« Craymorus zog sich durch die Gasse auf die Sänfte zu. Er hörte Stimmengewirr.
»Und bitte sorg dafür, dass Eani eine anständige Unterkunft bekommt«, sagte er über seine Schulter hinweg. »Ich werde dafür zahlen.«
»Ja, Herr.« Mellie klang wütend. Er fragte sich, wie lange sie auf die Gelegenheit gewartet hatte, sich an der Fürstin zu rächen. Jahre? Ein ganzes Leben lang? Aber er konnte ihr nicht helfen, auch wenn er es wollte. Zu viele Konsequenzen, deren Ausmaß er noch gar nicht ermessen konnte, wären damit verbunden gewesen.
Craymorus bog um die Ecke und blieb stehen. Eine Menschenmenge hatte sich hinter der Sänfte versammelt, wurde von der Ehrengarde zurückgehalten.
»Was ist hier los?«, fragte er.
Der Kommandant der Garde drehte sich zu ihm um. »Ich weiß es nicht, Herr. Sie standen hier, als wir zurückkamen.«
Eine Frau bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Sie hatte nur einen Arm und zeigte mit dem Stumpf auf Craymorus. »Bist du der, der uns vor den Menschwölfen retten soll?«
»Sprich vernünftig!« Der Kommandant holte mit seinem Stock aus. »Für dich ist das ein Herr.«
»Schon gut.« Craymorus hob beschwichtigend die Hand. Dann wandte er sich an die Frau. »Meinst du die Nachtschatten?«
»Ja«, antworteten mehrere gleichzeitig.
Er nickte. »Euer Fürst hat mich gebeten, ihn bei diesem Kampf zu unterstützen.«
Seine Gedanken glitten kurz zu dem Nachtschatten im Folterkeller. Seit seiner ersten Begegnung war er nicht mehr dort gewesen, hatte stattdessen seine Fragen durch Mellie übermitteln lassen. Er wusste, wie feige das war.
»Wie kann man sie erkennen?«, rief die Frau. »Wie kann man
Weitere Kostenlose Bücher