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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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durch die sie eingetreten waren, öffnete sich wieder. Wachen, die hölzerne Schilde und Speere vor sich hertrugen, begannen die Gaukler zusammenzutreiben. Ein paar versuchten ihre Sachen aufzusammeln, aber die Soldaten schlugen mit den Schilden nach ihnen und drängten sie der Tür entgegen.
    Niemand sagte etwas. Die Priester drehten sich auf ihren Baikonen um und verschwanden. Fyramei führte den schwachsinnigen Koto an einer Hand. Die andere hatte sie auf seinen Mund gelegt. Er weinte lautlos.
    Daneel führte die Gaukler auf dem Weg nach draußen an. Ana versuchte in Jonans Nähe zu bleiben, aber die Wachen drängten sie auseinander. Er stemmte sich gegen sie, aber ein Schildhieb ließ ihn taumeln. Dann verschwand er zwischen ihnen.
    Jetzt schoben die Wachen auch Ana auf den Tunnel zu. Sie drehte sich um und bemerkte, dass kein anderer Gaukler sich mehr im Innenhof befand. Sie war die Letzte. Ein Stoß trieb sie in den Tunnel. Hinter ihr wurde die Tür zugeschlagen. Das wenige Licht, das durch die Ritzen drang, bildete ein Gitter auf dem Tunnelboden.
    Sie wollte zu den anderen aufschließen, aber Hände ergriffen plötzlich ihre Arme. Sie sah rot gefärbte Gesichter und unterdrückte einen Schrei. Stimmen begannen zu flüstern. »Ich weiß, wer du bist. Ich habe dich gesehen, als du meine Stadt betratst, und ich werde dir das Gleiche sagen, das ich deinem Vater sagte. Ihr seid der Rauch und die Flammen, die Klinge und der Rost, der Sturm und die Verwüstung. Nichts Gutes wird jemals von euch kommen, nichts Gutes wird euch und denen, die euch umgeben, widerfahren. Du hast versucht, meine Stadt zu vergiften, indem du diesen Kea'Hazzar hierher brachtest. Du bist wahrhaft die Brut deines Vaters.«
    Sie spürte den Atem der Priester auf ihrem Gesicht. Nein, wollte sie sagen, Daneel hat mich hierhergebracht, nicht ich ihn, aber sie wagte nicht zu sprechen.
    »Der Tod wird dich finden, aber nicht in meinem Land. Dein Blut soll den Boden nicht besudeln, dein Atem die Luft nicht beschmutzen. Andere sollen diese Sünden auf sich nehmen.«
    Die Hände ließen sie los. »Geh«, sagten die Stimmen. »Ich habe gesagt, was zu sagen war.«
    Sie taumelte vor. Die Wachen ließen sie durch. Erst als Ana in den Nieselregen stolperte und Jonan sie stützen musste, bemerkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie sah die Erleichterung in seinem Blick, als sie sich aufrichtete.
    »Keine Angst«, flüsterte Jonan, als die Wachen einen Moment lang abgelenkt wirkten. Sie schüttelte den Kopf. Sie war nicht ängstlich, sie war wütend, wütend auf Daneel, wütend auf ihren Vater, auf die Nachtschatten, auf Somerstorm, auf sich selbst.
    Ich hätte etwas tun müssen, dachte sie, ohne genau zu wissen, weshalb. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Er folgte ihr durch die Stadt bis an die Anlegestelle der großen Flöße. Als die Wachen sie und die anderen an Bord stießen, hörte sie einen von ihnen zum Bootsmann sagen: »Hal-Turun.«
    Sie wusste, was damit gemeint war. Es war eines der vielen Wörter, mit dem das beschrieben wurde, was keinen Namen brauchte.
    Der Große Fluss.

 
    Kapitel 21
     
    Verschlossene Augen und ein verschlossenes Herz. Der Reisende, der beides besitzt, wird sein Glück in Westfall finden.
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
     
     
    Die Sänfte trug Craymorus in die Stadt hinein. Mellie ging neben ihm her, eine Ehrengarde in den Farben Westfalls trieb die Menschen auf den Straßen mit Stöcken auseinander. Ihr brutales Auftreten war Craymorus unangenehm, aber Mellie hatte ihm versichert, dass sie so vorgehen mussten, um sich Respekt zu verschaffen.
    »Das ist ein Armenviertel, Herr«, hatte sie gesagt. »Der Abschaum, der hier lebt, versteht nichts anderes.«
    Er zog den Vorhang, der die Sänfte umgab, beiseite und sah hinaus. Die Gassen in diesem Teil der Stadt waren schmal, die Hütten mehrstöckig und ineinander verkeilt, so als müssten sie sich gegenseitig Halt geben. Kinder in braunen Lumpen spielten in den Eingängen, Wäscheleinen hingen zwischen den Fenstern der oberen Stockwerke. Der Gestank einer Gerberei überdeckte alle anderen Gerüche des täglichen Lebens. Überall standen Menschen herum. Die meisten waren alt, behindert oder betrunken. Einige sahen der Sänfte mit verschlossenen Gesichtern nach, andere wirkten neugierig.
    Mellie zog den Vorhang auf der anderen Seite auf. »Herr, es tut mir leid, aber die Gasse, in die wir müssen, ist für die

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