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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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das sich Ana nicht mehr erinnern konnte.
    »Er braucht ihn nicht mehr.«
    Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie. Die Sonne wärmte ihr Gesicht, der schwere Umhang, der nicht ihr gehörte, aber nach dessen Ursprung sie auch nicht zu fragen wagte, schützte sie vor dem Wind. Der Pfad, auf dem sie ritten, führte zwischen Hügeln, Felsen und kargen Wiesen hindurch. Wahrscheinlich nutzten die Hirten die Wiesen als Sommerweiden, denn Ana sah einige Unterstände, aber keinen einzigen Menschen.
    »Wo sind wir?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Kurz hinter Nrje.«
    Ana schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Nrje liegt mehr als einen Tagesritt von der Festung entfernt. Du musst dich irren.«
    »Dies ist der dritte Tag unserer Reise, Mefrouw.«
    Ihr Herz schlug schneller. Ihr Mund wurde trocken. »Du lügst.«
    »Wie Ihr meint.« Jonan lenkte sein Pferd an ihrem vorbei. Seine Haut war beinahe so dunkel wie der Ziegenfellmantel.
    Ana blickte auf seinen Rücken. Seine Gleichgültigkeit machte sie wütend. »Was soll das heißen? Wo sind wir wirklich?«
    »Hinter Nrje«, sagte Jonan. Er drehte sich nicht um. Ana musste sich im Sattel vorbeugen, um ihn zu verstehen.
    »Wegen der Flüchtlinge und der Patrouillen reiten wir abseits der Straßen«, fuhr er fort. »Deshalb kommen wir so langsam voran.«
    »Was für Patrouillen?«
    »Die Patrouillen, die nach Euch suchen, Mefrouw.«
    Ana zog ihren Umhang fester zusammen. Darunter trug sie immer noch das Seidenkleid aus Braekor. Der Saum, der unter dem Umhang hervorragte, war schwarz vor Schmutz.
    »Deine Worte verwirren mich«, sagte sie und versuchte ein wenig von der Würde ihrer Mutter in ihre Stimme zu legen. »Warum sollten wir uns vor den Patrouillen verstecken? Sie wollen mich doch sicherlich zurück zur Festung geleiten.«
    »Es sind nicht unsere Patrouillen.« Jonan hielt den Rappen an und drehte sich zu ihr um. Seine dunklen Augen musterten sie einen Moment lang.
    »Ihr erinnert Euch doch an das, was geschehen ist?«, fragte er dann.
    »Natürlich.« Ana unterdrückte ein nervöses Lachen, das urplötzlich in ihr aufstieg. »Wer könnte sich an solche Gräuel nicht erinnern?«
    Sein Blick ließ nicht von ihr ab. Sie senkte den Kopf. Ihre Finger drehten die Zügel mal in die eine, mal in die andere Richtung.
    »Es ist nur so …«, sagte sie. Die Worte fielen ihr schwer. »Es ist nur so, dass ich es manchmal vergesse, so wie man vergisst, wo man einen Schal abgelegt hat.«
    Ein Teil von ihr hoffte, dass Jonan sie anschreien würde, dass er sie voller Verachtung daran erinnern würde, dass ihre Mutter und ihr Vater kein Schal waren, den man einfach vergaß. Sie hoffte, dass er irgendetwas tun würde, um die starren Monumente in ihrem Geist umzuwerfen. Sie wollte all das fühlen, was sie hätte fühlen sollen, Trauer, Wut, Angst, aber da war nichts außer einer dumpfen Leere.
    Jonan musterte sie einen Moment länger, dann wandte er sich ab.
    »Ich verstehe«, sagte er und ritt weiter.
    Ana starrte auf seinen Rücken, enttäuscht und verärgert zugleich. Wie konnte er es wagen, sie so zu ignorieren? Sie hatte ihm etwas Schändliches offenbart, obwohl er nur ein Leibwächter war. Er hätte darauf mit mehr als zwei Worten reagieren müssen, das gebot der Respekt. Aber vielleicht respektierte er sie gar nicht. Vielleicht respektierte er nur das Gold, das ihr Vater seinem Orden gab. Gegeben hatte.
    »Welche Pflichten hat mein Vater dir auferlegt?«, fragte sie.
    Er drehte sich nicht um, ein weiteres Zeichen seiner Missachtung.
    »Ich war der Nachtwache zugeteilt, Mefrouw. Zwei Winter lang bewachte ich jede Nacht die Tür zu Eurer Kammer.«
    »Warst du nicht gut genug, um mich bei Tag zu begleiten?«
    Sie glaubte zu sehen, wie sich seine Schultern strafften. »Die Priester des Ordens bestimmen über meinen Dienst. Diese Frage müsstet Ihr an sie richten.«
    »Du gehörst zum Orden der Trauernden Klingen, nicht wahr?«
    »Wie all Eure Leibwächter, Mefrouw.«
    »Ist es richtig, dass Verbrecher diesem Orden beitreten, um dem Scharfrichter zu entgehen?«
    »Jeder Mann und jede Frau, die etwas zu sühnen haben, können dem Orden beitreten.«
    »Und was hast du zu sühnen?«
    Dieses Mal strafften sich seine Schultern tatsächlich. Wie eine Statue saß er auf seinem Pferd.
    »Ich habe einen Schwur geleistet, Euch zu beschützen«, sagte er. »Alles andere betrifft nur mich.«
    Er sprach ebenso ruhig wie zuvor, aber eine Kälte war in seine Stimme

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