Sturm
ist mir bekannt.«
Ana dachte an die Bilder in ihrem Kopf, an den seltsam säuerlichen Geruch und an die Laute, die sie nie zuvor gehört hatte.
»Aber es waren Menschen?« Sie stellte die Frage, obwohl sie Angst hatte, den Verstand zu verlieren. Sie hatte zwei ganze Tage verloren, wer konnte schon sagen, ob die Götter sich noch mehr von ihrer Seele genommen hatten.
»Ich nehme es an.«
Sie wartete, aber Jonan sprach nicht weiter. Vielleicht wusste er es tatsächlich nicht, vielleicht log er sie an.
Kann ich dir vertrauen?, dachte Ana, ohne den Blick von seinem Rücken zu nehmen. Kann ich dir wirklich bei meinem Leben vertrauen?
Sie fragte sich, was wohl der Fürst ihr geraten hätte, wäre er bei ihr gewesen. Vertraue niemandem, den du nicht bezahlen kannst, diesen Satz hatte er so oft gesagt, dass sie glaubte, seine Stimme zu hören, als sie daran dachte.
Er hatte all ihre Wachen und Leibwächter bezahlt, aber Ana hatte nicht einmal genug Silber, um dem einen, der ihr geblieben war, einen Krug Bier zu kaufen. Sie besaß das Kleid auf ihrer Haut, mehr nicht. Und doch hatte Jonan sie zwei Tage lang beschützt. Er hätte sie den Patrouillen ausliefern können, aber das war nicht geschehen.
Aber es könnte immer noch geschehen. Sie wusste nicht, was in Jonan vorging. Er antwortete ausweichend auf ihre Fragen, belog sie vielleicht sogar, sagte ihr nur das, was er wollte. Ana dachte an ihre Mutter, die sich von den Köchen jedes Rezept im Detail hatte erklären lassen, um stets über alles informiert zu sein. Niemand hatte ihr etwas vorgemacht. Seit dem Tag, an dem ihr Vater sie aus der Sklaverei befreit und zu seiner Frau gemacht hatte, war ihr Leben von niemandem mehr kontrolliert worden – nicht einmal vom Fürsten. Es war Zeit, dass sie sich ein Beispiel daran nahm.
Ana richtete sich im Sattel auf. »Wohin reiten wir?«
Jonan schreckte wieder hoch, aber dieses Mal fragte er nicht nach. »Zum Hafen, Mefrouw.«
»Weshalb?«
»Um Somerstorm zu verlassen. Ihr könnt hier nicht bleiben.«
»Und wo kann ich deiner Meinung nach bleiben?« Ihre Worte klangen genauso scharf, wie sie beabsichtigt hatte.
»Nun …« Zum ersten Mal geriet Jonan ins Stocken. »Wir werden eine Schiffspassage buchen. Sollten wir nicht genug Silber dafür haben, werde ich auf dem Schiff arbeiten, bis wir unser Ziel erreicht haben.«
»Unser Ziel?«
»Hala'nar, Mefrouw.«
Ana lachte unwillkürlich. »Hala'nar? Das ist noch nicht einmal ein Fürstentum. Was bei den Göttern sollten wir bei diesen Wilden in der Wüste anfangen?«
Jonan drehte sich im Sattel um. »Ihr habt Recht, es ist kein Fürstentum, deshalb wären wir in Hala'nar sicher. Niemand kennt Euch, niemanden interessiert, was jenseits der Wüste geschieht. Wir könnten dort warten, bis die Dinge klarer sind.«
»Wie lange?«, fragte Ana knapp.
Er hob die Schultern. »Monate, vielleicht Jahre. Hala'nar ist sehr weit weg, Schiffe, die Neuigkeiten bringen, sind rar.«
Sie wollte antworten, aber er stoppte sie mit einer Handbewegung. »Ich habe dem Fürsten geschworen, für Eure Sicherheit zu sorgen. In Hala'nar seid Ihr sicherer als an jedem anderen Ort.«
Er sah sie eindringlich an, so als wolle er sich vergewissern, dass seine Worte Gehör gefunden hatten. Ana wandte den Blick ab.
»Reiten wir weiter«, sagte sie. »Der Weg ist noch lang.«
Ihre Gedanken kreisten um das, was vor ihr lag. Wie konnte Jonan erwarten, dass sie sich in irgendeinem Wüstenkaff verkroch, wie ein Tier unter Tieren? Was wusste er schon über die Abkommen, die ihr Vater mit anderen Fürstentümern getroffen hatte, über seine Allianz mit Westfall, über die Freundschaft zu Braekor und über Rickard, der vor Sorge umkommen würde. Sobald er erfuhr, was geschehen war, würde er eine ganze Armee mobilisieren und die Banditen aus Somerstorm vertreiben. Sie sah sich bereits zurückkehren, inmitten seiner Banner, umgeben von hochgestreckten Lanzen neben ihm reitend. An seiner Seite würde sie leben, nicht an der Seite eines Leibwächters, der gerade mal gut genug gewesen war, um ihre Tür bei Nacht zu bewachen.
Doch sie sagte nichts davon, folgte ihm nur schweigend, den Blick auf seinen Rücken gerichtet. Die Einöde zog an ihr vorbei, monoton und menschenleer. Mehrere Stunden vergingen, dann endlich sah sie, worauf sie gewartet hatte.
Jonans Schultern sackten nach vorn, sein Kopf neigte sich. Ana wartete. Ihr Herz schlug schneller, als er nicht wieder hochschreckte, so wie er es die letzten
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