Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
fielen.
    Gegen Nachmittag sah Ana endlich den Grenzposten, der Somerstorm von Braekor trennte. Es waren hässliche, gedrungen wirkende Gebäude, die aus dem gleichen grauen Stein wie die Berge um sie herum bestanden. Die kleinen Felder, die man mühsam den Bergen abgerungen hatte und mit deren Ernte sich die Soldaten, die hier oben stationiert waren, selbst versorgten, lagen brach. Der Posten war nur im Sommer besetzt. Im ersten Jahr seiner Herrschaft hatte der Fürst noch darauf bestanden, auch im Winter Soldaten hier zu stationieren, aber die zehn Mann, die ihren Dienst angetreten hatten, waren verschwunden. Niemand wusste, ob sie erfroren oder nach Braekor geflohen waren.
    Anas Vater hatte solche Posten auf allen Wegen entlang der Grenze errichten lassen. Wer Somerstorm verlassen wollte, musste einen Passierschein kaufen. Damit sollte verhindert werden, dass Hirten und Bauern das karge Land verließen und gen Süden zogen. Trotzdem gab es immer mehr leer stehende Höfe – und Steinhaufen am Wegesrand.
    Leichter Schneefall setzte ein, als Ana den Kamm des Passes erreichte. Sie zügelte ihr Pferd und blickte zurück. Nebel hing über dem Weg, den sie gekommen war, und verhüllte das Land. Es gab keinen Grenzstein, der das Ende Somerstorms und den Beginn Braekors markierte. Wer hier oben angekommen war, wusste, was er zurückließ und was vor ihm lag.
    Wenn ich das nur auch wüsste, dachte Ana.
    Sie warf einen Blick in den grauen Himmel. Schneeflocken fielen ihr entgegen, legten sich auf ihren Umhang und die Mähne des Pferdes. Der auffrischende Wind war kalt und trieb mehr Schnee vor sich her. Der Wetterumschwung, den Ana befürchtet hatte, war gekommen.
    Kurz dachte sie darüber nach, im Grenzposten Schutz zu suchen, verwarf den Gedanken jedoch. Sie hatte von Schneestürmen in den Bergen gehört, die Wochen dauerten. Ihre Vorräte reichten nur noch für einen Tag. Sie musste das Tal auf der anderen Seite erreichen, bevor sie verhungerte.
    Nervös lenkte sie ihr Pferd gen Süden. Der Abstieg war ebenso steil wie der Aufstieg. In Serpentinen wand sich der Weg an Steilwänden und Abgründen vorbei. Die Hufe der Stute schlitterten über den schneebedeckten Fels.
    Ana lockerte die Zügel und überließ es dem Pferd, den richtigen Weg zu finden. Sie kamen nur quälend langsam voran, aber sie wagte es nicht, das Tier anzutreiben. An manchen Stellen war der Pfad kaum breiter als der Pferderücken. Ana war beinahe froh darüber, dass der wirbelnde Schnee ihr den Blick in die Abgründe verwehrte.
    Nach einer Weile wurde der Weg breiter, und das Gefälle nahm ab. Ana erinnerte sich von früheren Reisen daran. Das Gasthaus war ganz in der Nähe.
    Der Schnee stach in ihren Augen. Es dämmerte bereits, und durch den dichten Schneefall konnte sie kaum weiter als bis zum Maul ihres Pferdes sehen. Sie befürchtete, dass sie an dem Gasthaus vorbeireiten würde, ohne es überhaupt zu bemerken. Sie wusste, dass eine ungeschützte Nacht in diesem Sturm ihren Tod bedeuten konnte.
    Ein dunkler Schemen löste sich aus dem alles verhüllenden Grau. Einen Moment lang glaubte Ana, es sei nur ein weiterer Felsen, dann bemerkte sie das spitz aufragende Dach und die geraden Wände. Sie hatte das Gasthaus gefunden.
    Der Schnee hat den Göttern die Sicht geraubt, dachte Ana. Sie konnten mich nicht fehlleiten.
    Es war ein Gedanke, auf den Zrenje stolz gewesen wäre.
    Vor dem Gasthaus stieg Ana aus dem Sattel. Bis zu den Knöcheln sank sie im Schnee ein. Sie band das Pferd an einen Pfosten. Es gab einen Stall hinter dem Haus, wo sie es später unterbringen würde, aber zuerst musste sie den Wirt dazu überreden, sie ohne Bezahlung zu beherbergen. Ana zweifelte nicht daran, dass ihr das gelingen würde. Sie hatte sich allein bis hierher durchgeschlagen. Sie würde nicht an einem Wirt scheitern.
    Entschlossen ging sie die drei Stufen zur Eingangstür hinauf. Ein Teil von ihr bemerkte, dass es keine Fußspuren außer den ihren im Schnee gab. Sie schluckte, dann zog sie an dem Griff der schweren Holztür.
    Sie bewegte sich nicht.
    Ana zog noch einmal, drückte dann dagegen. Nichts. Sie begann mit den Fäusten dagegenzuhämmern, aber das Holz dämpfte das Geräusch so weit, dass sie nicht sagen konnte, ob man es drinnen überhaupt hören konnte.
    Sie wandte sich von der Tür ab und schüttelte Schnee aus ihren Haaren. Rechts und links von ihr gab es kleine Fenster im Stein, kaum größer als ihr Kopf. Holzklappen, die mit Riegeln aus Eisen und schweren

Weitere Kostenlose Bücher