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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Dunkelheit, unförmig und schwarz. Sie bewegten sich durch den Verschlag. Ana hörte, wie ihre Füße über den Boden schlurften. Die kleinere der beiden Gestalten hockte sich neben die Feuerstelle und begann Dung aufzuschichten. Die größere blieb stehen.
    »Du wirst doch keinen Ärger machen, oder?«, fragte sie mit heiserer Stimme. Sie gehörte einem Mann. Er sprach mit einem so schweren Dialekt, dass Ana ihn kaum verstand.
    »Nein«, antwortete sie. »Keinen Ärger. Ich habe nur Schutz vor dem Regen gesucht.«
    Die kleinere Gestalt blies in den glimmenden Dung, entfachte ein Feuer aus den wenigen Funken. Sie legte einige kleine Zweige darauf, dann sah sie auf. In dem rötlichen Feuerschein konnte Ana ihr Gesicht erkennen. Es war ein Mädchen, kaum älter als sie, aber mit dreckverschmiertem Gesicht. Ebenso wie der Mann war sie in Ziegenfelle gehüllt, die sie jetzt nach und nach ablegte.
    »Ist unsere Hütte«, sagte sie, »nicht deine.«
    Ihr Dialekt war noch unverständlicher als der des Manns. Ana bekam den Eindruck, dass sie nicht oft sprach. Sie richtete sich auf.
    »Das stimmt«, sagte sie. »Ich möchte euch um eure Gastfreundschaft in dieser Nacht bitten.«
    Der Mann lachte so meckernd wie eine seiner Ziegen. Er wirkte wesentlich älter als das Mädchen, war vielleicht ihr Vater. Sein Lachen endete in einem heiseren Husten, der so lange anhielt, dass Ana glaubte, er müsse ersticken. Schließlich atmete er aber doch tief ein und spuckte auf den Boden.
    »Gastfreundschaft, ja?«, fragte er. »Willst wohl auch noch was essen?«
    Ana schüttelte den Kopf. Der Gedanke an die dreckigen Töpfe ließ ihren Hunger verschwinden. »Nein, ich möchte nur Schutz. Beim ersten Tageslicht werde ich euch nicht länger behelligen.«
    »Du redest komisch«, sagte das Mädchen.
    »Ich komme aus Braekor. Ich war mit meinem Vater unterwegs, aber wir haben uns im Sturm verloren. Er und seine Männer müssten ganz in der Nähe sein. Vielleicht habt ihr sie ja gesehen.« Die Lüge fiel ihr leicht. Sie hatte sie für eine solche Situation einstudiert.
    »Wir haben keinen gesehen«, sagte der Mann. Er klang nachdenklich. Die Aussicht, dass Ana nicht so allein war, wie es schien, gefiel ihm wohl nicht.
    Er drehte sich zu dem Mädchen um. Stumm tauschten sie Blicke aus. Ana blieb reglos sitzen, versuchte sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.
    »Dein Pferd frisst Stroh«, sagte das Mädchen unvermittelt. »Wir brauchen Stroh.«
    »Mein Vater wird euch für alle Mühen und Kosten entlohnen, die euch meine Unterbringung machen mag.«
    Die beiden sahen sie an. Das Mädchen runzelte die Stirn, so als habe sie die Bedeutung der Worte nicht verstanden.
    »Er wird euch bezahlen«, erklärte Ana.
    »Wird er das?« Der Mann hockte sich neben das Feuer. »Vielleicht, wenn er nicht tot ist. Schwerer Sturm heute.«
    Er hielt die Hände über die Flammen. Sie waren breit, hässlich und voller Schwielen. »Hast ein hübsches Kleid«, sagte er dann.
    Ana sah an sich herab. Selbst das wenige Licht reichte aus, um den Stoff glitzern zu lassen.
    »Es ist mein wertvollster Besitz«, antwortete sie zögernd.
    »Wertvoller als eine Nacht im Trockenen?« Der Mann grinste, aber das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Brauchen wir nicht. Das Pferd.«
    »Das nehmen uns andere weg, wenn sie's sehen. Das Kleid ist für uns, nur für hier.«
    »Einverstanden, ihr könnt es haben«, sagte Ana rasch. Ohne Pferd war sie verloren, ohne das Kleid besaß sie wenigstens noch den Umhang.
    Der Mann streckte eine Hand aus. »Gib her.«
    Ana sah sich in dem Verschlag um, aber es gab keine Ecke, in der sie sich diskret hätte ausziehen können. Also zog sie den Umhang von den Strohballen, auf die sie ihn zum Trocknen gelegt hatte, und bedeckte ihren Körper damit. Umständlich zog sie sich darunter aus. Das Mädchen kicherte, der Mann grinste immer noch.
    Als sie fertig war, warf sie das Kleid den beiden zu. Der Mann fing es, bevor es den Boden berühren konnte.
    »Für dich«, sagte er zu dem Mädchen. Ana war überrascht über die Zuneigung in seiner Stimme. Während die beiden abgelenkt waren, zog sie sich hastig den Umhang über. Er war immer noch feucht.
    Das Mädchen schmiegte ihre Wange an das Kleid. »So weich«, sagte sie leise. Beinahe ehrfürchtig legte sie es ins Stroh, dann zog sie die Felle aus, die in mehreren Schichten auf ihrem Körper lagen. Sie war so mager, dass ihre Hüften hervorstachen.
    Der Mann nahm das Kleid und streifte es ihr über. Es glitt

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