Sturm
eingeschlafen, die anderen Zuschauer standen auf der Mauer. Keiner hatte sich gesetzt, keiner war gegangen. Sie alle sahen zu, als der Gefangene schließlich liegen blieb. Sein Kopf sackte nach unten in eine Pfütze, die kaum tiefer als eine Handbreit sein konnte. Gerit sah, wie schlammiges Wasser über seine Wangen schwappte. Der Körper des Nachtschatten zuckte kurz wie in einem Krampf, dann lag er still.
Seine Verfolger bildeten einen Kreis um ihn. Eine Weile betrachteten sie die Leiche zu ihren Füßen – Gerit fragte sich, ob sie wohl beteten –, dann wandten sie sich ab und gingen der Festung entgegen. Keiner von ihnen hatte den Gefangenen während der Jagd auch nur ein einziges Mal berührt.
»Ist der Tod deiner Tochter damit gerächt?«, fragte Korvellan.
Der Mann, der neben ihm stand, nickte. »Das ist er«, sagte er.
Die Zuschauer begannen die Mauer zu verlassen. Die Nachtschatten schwiegen, nur die Menschen sprachen leise miteinander.
Gerit tastete nach dem Griff seines Messers. Sein Rücken war schweißnass. Er fror und schwitzte. Ihm war übel, obwohl er nichts gegessen hatte.
Ich muss es nicht tun, dachte er. Noch kann ich zurück.
Die Jäger gingen auf das Tor zu. Horons Gesicht glänzte. Er wirkte müde, aber nicht erschöpft. Die Nachtschatten hatten sich bei der Jagd abgewechselt, zwischendurch gegessen und getrunken. Die Nacht hatte kaum an ihren Kräften gezehrt.
Gerit umklammerte das Messer. Hinter ihm gingen Nachtschatten und Menschen die Treppe hinunter. Er nahm sie kaum wahr. Sein Blick war starr auf Horon gerichtet, sahen den kaum verborgenen Triumph in seinem Gesicht, seine kräftigen, steifen Schritte und die Arme, die an seinen Seiten schwangen und fast bis zum Boden reichten wie die eines Affen.
Nur noch wenige Schritte trennten Horon von dem Tor. Gerits Atem ging schneller.
»Wenn du kämpfst, wirst du sterben«, flüsterte eine Stimme neben ihm.
Er erstarrte, wagte es nicht, sich zu bewegen. Die Nachtschatten gingen weiter an ihm vorbei. Niemand war stehen geblieben. Er drehte leicht den Kopf, blickte auf breite Rücken und Hinterköpfe. Die meisten Nachtschatten, die in der Festung lebten, kannte er, aber keiner von ihnen hätte Grund gehabt, ihn zu warnen – höchstens Moksh, doch der lehnte immer noch schlafend an einer Zinne.
Wenn du kämpfst, wirst du sterben. Die Stimme war kaum mehr als ein Hauch gewesen, männlich wahrscheinlich, vielleicht aber auch weiblich. Jemand wusste, was er vorhatte, und versuchte ihn davon abzuhalten.
Unter ihm trat Horon durch das Tor.
»Wenn du kämpfst, wirst du sterben«, sagte Gerit leise und zog das Messer aus seinem Gürtel. »Und wenn schon.«
Er sprang.
Der Schlag schleuderte ihn durch die Küchentür. Holz splitterte, das Messer wurde ihm aus der Hand geprellt. Die Hitze der Kochstelle strich über seinen Rücken.
Horon stürmte ihm mit der Unaufhaltsamkeit eines Rammbocks entgegen. Blut tropfte von seinen Klauen, nicht sein eigenes, Gerits Blut. Er grinste. Ein Stück Kopfhaut hing über sein Ohr, dort, wo die abgebrochene Klinge von seinem Kopf abgeglitten war.
»Hast gedacht, du kriegst mich, Ratte?« Horon schlug mit seinen Klauen nach Gerit, doch der ließ sich fallen und griff nach dem Messer. Ein Stiefelabsatz hämmerte seine Hand gegen den Stein. Er schrie. Das Messer rutschte aus seinem Blickfeld. Seine Augen waren so stark geschwollen, dass er kaum noch etwas sehen konnte.
»Ratte!« Horon trat nach ihm. Gerit stieß sich ab und rammte ihm seinen Kopf zwischen die Beine. Horon keuchte. Er taumelte und prallte gegen einen Tisch, schob ihn bis zur Wand zurück. Der Schmerz auf seinem Gesicht gab Gerit Hoffnung.
Sie waren allein in der Küche. Einige Nachtschatten sahen durch die Fenster herein. Gerit hoffte, dass Korvellan unter ihnen war. Er griff nach einer Pfanne an der Wand. Sie war so schwer, dass er sie mit einer Hand kaum halten konnte. Mit aller Kraft holte er aus.
Sie traf Horon am Arm. Knochen knackten. Das Keuchen des Nachtschattens wurde zu einem Schrei aus Schmerz und Wut. Gerit wurde von seinem eigenen Schwung weitergetragen und riss einen Stuhl mit sich. Er sah Horons Ellenbogen auf sich zuschießen.
Der Schlag betäubte sein Gesicht. Gerit würgte und spuckte Blut. Er schlug um sich, warf Eimer voller Gemüse und Sud um. Das kalte Wasser brachte Klarheit zurück in seine Gedanken. Ich sterbe, dachte er. Heute. Jetzt.
Horon richtete sich vor ihm auf. Tränen liefen aus seinen Augen. Sein
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