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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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»Werdet ihr etwas vorführen?«, fragte sie. Ihr Atem roch nach Bier.
    »Nein, nichts«, sagte Ana, bevor sie erkannte, dass die Frau nicht nur sie gemeint hatte. Es irritierte sie immer noch, von einfachen Bauern geduzt zu werden. »Die anderen vielleicht, wir nicht«, fügte sie hinzu.
    Der Blick der Frau glitt von ihr zu Jonan, dann drehte sie sich wieder zu Daneel um. Die meisten Dorfbewohner hatten sich in seine Nähe gesetzt. Unter einem der Tische, die eben noch voll besetzt gewesen waren, lag ein alter Hund mit grauer Schnauze und geschlossenen Augen.
    Nur der Hund widersetzt sich Daneels Können, dachte sie.
    »Warum misstrauen sie uns nicht?«, fragte Jonan im gleichen Moment. »Wissen sie nicht, was geschehen ist?«
    Ana hoffte, dass er Unrecht hatte. Sie war hierhergekommen, um Neuigkeiten zu erfahren, nicht, um sie zu verbreiten.
    »Vor den Nachtschatten haben wir keine Angst«, hörte sie den einzahnigen Mann wenig später zu Daneel sagen. »Es waren ein paar Männer hier, die haben uns erklärt, wie man sie erkennen kann. Reisen durchs ganze Land, haben sie gesagt, damit alle Bescheid wissen. Verdammt anständig, wenn du mich fragst, Freund.«
    Daneel setzte zu einer Antwort an, aber Ana kam ihm zuvor. »Haben sie sonst noch was gesagt? Hatten sie Neuigkeiten?«
    Der Mann drehte sich zu ihr um. »Was man so Neuigkeiten nennt, Mädchen. Ein paar Tagesreisen nördlich sollen die Nachtschatten ein ganzes Dorf ausgerottet haben. In einer Taverne haben sie die Leute zusammengetrieben und abgeschlachtet, haben die Männer gesagt.«
    Ana dachte an die Silhouetten hinter den Fenstern der Taverne, an denen sie vor nicht ganz vier Tagen vorbeigezogen war. Hastig trank sie einen Schluck Bier.
    »Es gibt viele Dörfer nördlich von hier«, sagte Jonan leise.
    »Ich weiß.«
    »Und trotzdem habt ihr keine Angst?«, fragte Daneel am Nebentisch.
    »Nein, wir haben zu viel erlebt, um Angst zu haben.« Der Mann schüttelte den Kopf und starrte in seinen Bierkrug. Es wurde still.
    Ana legte der jungen Frau, die neben ihr saß, die Hand auf den Arm. »Was meint er damit?«
    »Unser Dorf ist im Winter vor vier Jahren niedergebrannt.« Die Frau spielte mit den Händen des Säuglings, sah Ana nicht an. »Die Hütten waren aneinandergebaut worden, um Holz zu sparen. Alles brannte nieder, nichts blieb zurück. Der Schnee lag so hoch, dass wir das Tal nicht verlassen konnten. Uns war so kalt. Niemandem sollte je so kalt sein.«
    Sie atmete tief durch. Ihre Mundwinkel zitterten, als sie lächelte. »Aber die meisten haben überlebt, und im Frühjahr bauten wir das Dorf wieder auf. Es ist viel schöner als früher.«
    Am Nebentisch klatschte Daneel in die Hände. »Die Vergangenheit soll uns diesen Tag nicht verderben«, sagte er. »Wir sind hier, wir leben, wir haben zu trinken und zu essen.« Er grinste sein Gegenüber an. »Nur du und ich nicht, mein Freund, also sollten wir umso mehr dem Bier zusprechen und Geschichten aus der Fremde lauschen.«
    Er nickte Qaru und Ezza zu. Der Dichter warf einen Blick auf seine Pergamente und stand auf. Ezza kletterte neben ihm auf die Holzbank und legte den Umhang ab. Die Monde erhellten ihr Gesicht und ihren Hals. Eine Frau, die am gleichen Tisch saß, stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus. Um Ana herum zuckten Menschen erschrocken zusammen.
    Ezza tat so, als würde sie nichts davon bemerken. Sie setzte die Flöte an die Lippen und begann zu spielen. Es war eine fröhliche, einfache Melodie, die Ana bekannt vorkam. Qaru wartete, bis sich alle Gäste in seine Richtung gedreht hatten, dann begann er seine Geschichte. Er hatte eine raue, beinahe heisere Stimme. Halb singend, halb sprechend erzählte er von einem dummen Bauern und seiner klugen Frau, von einem verliebten Holzfäller und den Wirrungen, die er durchmachen muss, bevor er die Tochter des Stoffhändlers für sich gewinnt.
    Die Dörfler lauschten, lachten, applaudierten und buhten, wann immer es die Geschichte verlangte, und nach einer Weile beachtete niemand mehr die Flötenspielerin, ihr blinzelndes drittes Auge und die Finger der winzigen Hand, zwischen denen sich ihre Haarsträhnen verfingen.
     
     
    Qaru erzählte seine Geschichten, bis die Monde hoch über der Taverne standen. Sein Gesicht war vom Alkohol gerötet, als er schließlich zum Ende kam, sich setzte und seine Pergamente zusammenrollte. Die Gäste der Taverne forderten mehr, aber er schüttelte nur den Kopf.
    Ezza stieg von der Bank und zog ihren Umhang über.

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